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Lustnebel

Lustnebel

Titel: Lustnebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivy Paul
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winken, denn Chayton sah es ohnehin nicht, und den Pferden war es gleichgültig, ob sie sich verabschiedete oder nicht. Seufzend kehrte sie ins Haus zurück, als die Kutsche sich in einen schwarzen Fleck in der Ferne verwandelt hatte.
    Cain stand in der Halle. Als er erkannte, dass Rowena auf ihn zusteuerte, kam er ihr entgegen.
    „Lady Windermere? Kann ich Euch dienlich sein?“
    „Lass mir meine Mantelet bringen, Cain“, forderte Rowena ihn auf.
    „Mylady, Seine Lordschaft informierte mich, dass Ihr das Haus nicht verlassen sollt!“, widersprach Cain sanft.
    „Die Sonne scheint, die Luft ist für diese Jahreszeit mild und angenehm. Ich werde im Park spazieren gehen. Bestimmt hat mein Gatte nichts dagegen, wenn ich auf dem Anwesen bleibe. Ich will nur Zeit an der frischen Luft verbringen“, erklärte Rowena resolut. „Solltest du Bedenken haben, Cain, wirst du mich begleiten müssen. Ich habe nicht vor, in diesem Gemäuer zu ersticken!“
    Cain zögerte einen Moment und focht einen Kampf mit sich aus. Rowena stand kurz davor, sich ihren Mantel selbst zu holen, als Cain sich in Bewegung setzte.
    Erleichtert wartete Rowena, bis der Butler ihr den Mantelet brachte und mit einem beleidigten Schniefen beim Hineinschlüpfen half. Kopfschüttelnd ließ Rowena Cain zurück und schlenderte über die frisch geharkten Wege durch den Park. Der Herbst war deutlich spürbar. Die Rosen, die die Pfade gesäumt hatten, waren nur mehr traurig hängende Köpfe mit teils bräunlichen, welken Rändern, und ihr Duft, der im Sommer noch Bienen angelockt hatte, war verweht im Wind. Sinnierend musterte sie ihre Umgebung. Das Blätterwerk der Büsche und Bäume leuchtete in den buntesten Herbstfarben. Rot und Gelb und Braun in allen Schattierungen sprangen ihr entgegen. Das fallende Laub bildete einen farbigen Flickenteppich, dessen Anblick Rowena einen Moment innehalten ließ, um ihn auf sich wirken zu lassen.
Hinter dem Anwesen, in der Ferne, erhoben sich die Hügel des Lake District, die diese Gegend zu einem so faszinierend beschaulichen Flecken machten, wenn denn einmal die Sonne schien. Die Hügelspitzen versteckten sich trotz der angenehmen Witterung im Tal hinter einer dichten, grau-weißen Wolkenbank. Wie unförmige Lebewesen hingen die Schwaden über den Bergen, waberten und wogten am Himmel umher. Einzelne Wolkenfetzen krochen in die Täler hinab, und sie fürchtete, der Abend würde ungemütlich werden. Während sie durch die Anlage schlenderte, war es zunehmend kühler geworden, und der Erdboden dampfte. Hie und da stiegen leichte Nebelsäulen aus dem Gras auf.
    Sie raffte sich auf, um ins Haus zurückzukehren.
     
    Einige Stunden später stand Rowena am hohen Fenster des Salons und trank Tee.
    Eines der Hausmädchen hatte das Kaminfeuer entfacht, und nun breitete sich im Raum angenehme Wärme aus, begleitet vom Knistern der gefräßigen Flammen. Draußen stellte das Wetter Rowenas Prognose unter Beweis: Es war deutlich kühler als noch am Nachmittag, und vor den Fenstern waberten dichte Nebelschleier.
    Cain schlüpfte herein, und als er die Teekanne ausgetauscht hatte, legte er Holz nach.
    Rowena riss sich von der dicken Nebelsuppe los, die sich an das Fenster presste.
    „Lady Windermere, kann ich noch etwas für Euch tun?“, erkundigte sich Cain.
    Rowenas Blick glitt über den dunklen Anzug des jungen Butlers, die tadellose Krawatte, das perfekt gebügelte Hemd, die gestärkte Hose und nicht zuletzt das akkurat sitzende Jackett und die penibel polierten Schuhe, all das zeigte überdeutlich, wie ernst er seinen Posten nahm.
    Rowena lehnte dankend ab. „Ich werde bald zu Bett gehen. Bei diesem Wetter die einzig mögliche Abendunterhaltung.“ Sie sah aus dem Fenster, und Cain folgte ihrer Blickrichtung. Er neigte verständnisvoll den Kopf.
    „Barnard Hall liegt leider mitten in einem Nebelloch“, erklärte Cain. „Für diese Jahreszeit sind derartige Wetterlagen nichts Ungewöhnliches.“ Er zog sich zurück, und Rowena blieb allein mit ihren Gedanken und Überlegungen.
    Die Cuthberts hatten Cains Schwester in Dienste genommen. In London war das Mädchen scheinbar spurlos verschwunden. Hatte sie die Cuthberts bei ihren Orgien beobachtet? Etwas über den Hellfire Club herausgefunden, das sie nicht wissen durfte? Hatte man sie aus dem Weg geräumt?
    Ein eiskalter Schauer überlief Rowena, der sich steigerte, als aus dem Nebel das Heulen eines Tieres drang. Gedämpft und verzerrt durch die Schwaden, sodass es

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