Lustnebel
Cockreign zeigte eindeutige Anzeichen einer Vergiftung. Rowena wurde schwindlig. Sie sprang auf und bekam noch am Rande mit, wie das Hausmädchen an ihre Seite eilte.
„Mylady?“, fragte sie.
Blitze zuckten vor Rowenas Sichtfeld. Das Atmen fiel ihr mit einem Mal schwer, dann wurde die Welt um sie herum schwarz.
„Und Ihr seid sicher, dass Ihr Euch wohl fühlt, Lady Rowena?“, vergewisserte sich Betsy zum wiederholten Mal, dass mit ihrer Herrin alles in Ordnung war.
Rowena lächelte der Zofe über ihr Spiegelbild zu. „Selbstverständlich, Betsy, keine Sorge, der Zeitungsartikel hat mir lediglich einen Schock versetzt. Das ist alles.“
Kritisch beäugte Betsy Rowena. „Und Ihr habt Euch nun erholt?“
„Ich habe mich selten besser gefühlt als jetzt“, versicherte Rowena der Zofe. „Und jetzt hilf mir mit dem Schmuck. Mein Gemahl möchte sicherlich nicht der letzte Gast sein, der beim Duke of Middlesborogh und seiner Gemahlin eintrifft.“
„Absolut richtig, meine Liebe“, erklang Chaytons Stimme hinter ihr.
Die beiden Frauen drehten sich um. Chayton stand in der Verbindungstür. Sein Abendfrack unterstrich seine Fremdartigkeit und ließ ihn gleichzeitig wie den perfekten Londoner Gentleman wirken.
Er musterte Rowena wohlwollend. „Du siehst bezaubernd aus“, lobte er.
Rowena nickte ihm dankend zu und ließ sich von Betsy die Kette umlegen, während sie selbst den Ohrschmuck anzog.
„Fertig?“, fragte er, als Rowena ihre Hand senkte, um sie in seinen Griff zu legen.
„Selbstverständlich“, erklärte sie.
Schweigend ließ sie sich von ihm in die Kutsche führen. Sie schwiegen die Fahrt über, erst als sie vor der eleganten Stadtvilla der Middlesboroghs hielten, wandte Chayton sich ihr zu.
„Geoffrey Turnbull wird vermutlich anwesend sein“, begann er.
Rowena ließ ihren Blick betont langsam vom Kutschenfenster zu Chayton wandern. „Eine erneute Begegnung lässt sich wohl kaum vermeiden“, entgegnete Rowena kühl.
„Ich wollte nur, dass du darauf vorbereitet bist. Turnbull steht im Ruf“, Chayton zögerte, ehe er es aussprach, „gehässig zu sein.“
Rowena zuckte mit den Schultern.
„Ich werde nicht zulassen, dass er dich beleidigt“, versprach Chayton.
Rowena umfasste seine Hand. „Ich bitte dich inständig, lass dich zu keinem Duell herausfordern!“, flehte sie.
Chayton nickte, doch seine Augen glitzerten verdächtig.
„Chayton!“
Mehr konnte sie nicht sagen, denn ein Diener in Livree öffnete die Kabinentür und half ihnen beim Aussteigen.
Das vornehme Gebäude wurde von den zahlreichen Fenstern, durch die das goldene Licht unzähliger Gaslampen und Kerzen strahlte, erleuchtet. Mit einigen anderen Gästen, die kurz vor ihnen angekommen waren, betraten Rowena und Chayton die Eingangshalle. Sofort eilten Dienstmädchen in gestärkten Uniformen herbei und nahmen den Ankömmlingen Handschuhe, Hut und Mäntel ab.
Ein Butler verneigte sich vor ihnen und brachte sie in den Ballsaal, wo er dem Zeremonienmeister ihre Namen zuflüsterte, damit dieser die Gäste stilgerecht ankündigen konnte.
Rowena schien es, als hielten bei der Erwähnung ihres Namens einige der Anwesenden mit ihren Gesprächen inne. Chayton reichte ihr seinen Arm und schritt mit gewohnt stoischer Miene die Stufen hinunter zum Ballsaal.
Ein riesiger Kronleuchter mit zahlreichen Kerzen hing über der Tanzfläche. Das goldflackernde Licht warf Muster auf den blank gewienerten Tanzboden, und die vorübergleitenden Tanzpaare durchbrachen die bewegten Bilder des Flammenreigens. Überall standen mannshohe Palmen und Blumenhocker, auf denen sich üppige Bouquets im Raum verteilten. Am anderen Ende des Saals befanden sich die Musiker, und an der gegenüberliegenden Seite hatte man eine Pyramide aus gefüllten Champagnergläsern aufgebaut. Daneben errichteten flinke Hände ein Büffet, dessen Ausmaße und exklusive Leckereien selbst Könige zufriedengestellt hätten. Dienstboten eilten mit Tabletts voller Gläser und Kanapees umher, und die Gäste hatten sich in Grüppchen zusammengefunden, schwatzten, lästerten und beobachteten die anderen Besucher des Festes. Rowena sah ihren Gemahl an und war erneut fasziniert von seiner Fremdartigkeit. Im Geiste ging sie ihre Liste für den idealen Ehegatten durch. Chayton erfüllte nicht einen einzigen Punkt. Hitze stieg ihren Nacken empor. Nicht einmal der Sex war, wie sie es erwartete. Hatte sie ihre Hochzeitsnacht auch über die Maßen genossen, so hinterließ
Weitere Kostenlose Bücher