Lustnebel
nicht auf den weißbestickten Saum des Kleides zu treten.
Die Wegränder säumten unzählige Fackeln, die den Kiesweg in schummriges Licht tauchten. Der Duft von Blumen füllte die Nachtluft, und von irgendwoher drang das sinnliche Lachen einer Frau, das sich mit der heiseren Stimme eines Mannes mischte. Die Duchess gab vor, das Liebespaar nicht zu hören.
„Unsere Gärtner verstehen sich ganz wundervoll auf die Pflege der Rosenbeete“, erzählte die Gastgeberin. Sie öffnete ihren Fächer und drehte sich demonstrativ zu Rowena um, sodass diese überrascht innehielt.
„Meinen Glückwunsch zu Eurer Vermählung. Sicher wisst Ihr, dass Eure Eheschließung für Überraschung sorgte.“ Die Duchess musterte Rowena neugierig.
Rowena suchte hastig nach einer glaubwürdigen Lüge. „Das Angebot meines Gemahls war reizvoll“, äußerte sie schließlich, darauf vertrauend, dass der Ton die wirtschaftlichen Aspekte einer Heirat stets in den Vordergrund stellte und somit alle Fragen geklärt wurden.
Die Lady nickte. „Ich verstehe.“ Zufrieden wandte sie sich ab. „Seht Ihr dort drüben die Büsche? Der Duke hat sie aus der Karibik importieren lassen, und sie ertragen das englische Wetter deutlich besser als erwartet. Wir waren nicht sicher, ob sie einen Platz im Gewächshaus nicht bevorzugen würden. Kennt Ihr unsere Menagerie?“
Rowena verneinte, und die Duchess machte eine auffordernde Handbewegung. „Dann folgt mir. Es wird Euch gefallen, wir besitzen einen Tiger.“ Wie zur Bestätigung drang das Brüllen des Raubtiers durch die Nacht. Mitleid erfüllte Rowena. In dem Schrei der Raubkatze klangen Trauer und Resignation. Sie konnte sich vorstellen, welcher Anblick sie erwartete. Eine prächtige Kreatur, eingezwängt zwischen Stahl und Holz, geknechtet von Fremdbestimmung, ohne Hoffnung auf Entkommen, auf ewig seinen Kerkermeistern ausgeliefert. Einen Moment lang fühlte Rowena Verwandtschaft zu der gepeinigten Tierseele.
Chayton eilte ihr entgegen, als sie in den Saal zurückgekehrt war und nach ihm suchte. Seine Lippen verzogen sich zu einem falschen Lächeln, das Rowena so sehr irritierte, dass sie beinahe zurückwich. Sie bewahrte Contenance und reichte Chayton ihre Hand.
„Geoffrey Turnbull“, zischte er, als erklärte der Name alles.
Ein Kloß bildete sich in Rowenas Hals, der sich auch nach mehrmaligem Schlucken nicht auflösen wollte.
„Jetzt sehen wir das frisch vermählte Paar endlich Seite an Seite“, rief Geoffrey Turnbull, der von einigen Dandys und sensationslüsternen Damen umringt war. Er lachte und prostete beiden mit seinem Champagner zu. „Und mir ist es zuzuschreiben, dass die beiden verheiratet sind. Sie haben sich auf meinem Ball kennengelernt. Gesehen und – was ist passiert, Lady Windermere, dass Ihr so überstürzt heiraten musstet?“
Chayton machte einen raschen Schritt auf Turnbull zu. „Haltet Eure Zunge im Zaum, Turnbull! Ihr seid betrunken“, warnte er den anderen. Rowena legte ihre Hand auf Chaytons Unterarm. Sie fühlte das leichte Zucken seiner Muskeln und ahnte, dass es zu einer körperlichen Auseinandersetzung kommen würde, sorgte sie nicht rasch für eine Entspannung der Situation.
Sie blickte Geoffrey Turnbull ins Gesicht. „Sir Geoffrey, Chayton hat mich überwältigt. Eine gute Partie wie ihn lässt sich keine Frau von Verstand entgehen.“
„Eine Frau von Verstand“, sinnierte Geoffrey und beäugte Rowena auf eine abschätzende Weise, die ihr die Nackenhaare aufstellte. Sie war mehr denn je überzeugt, dass er Silbermaske war. Der Mann, der Claire auf dem Gewissen hatte. Selbst wenn nicht er ihr das Gift verabreicht hatte, so war er genauso schuldig wie der wahre Mörder. Etwas in seinen Augen verriet Rowena, dass er skrupellos genug sein würde, um einen Menschen aus dem Weg zu räumen.
„Mancher Frau sitzt der Verstand zwischen den gespreizten Schenkeln“, erklärte Sir Geoffrey süffisant grinsend. Er wandte sich an Chayton. „Davon könnt Ihr wahre Romane erzählen, nicht wahr, Lucien?“ Er räusperte sich und verbesserte sich naserümpfend: „Ich meine natürlich Chayton.“
Rowena spürte die Empörung in Chayton brodeln. Sie streckte ihren Arm aus und berührte ihn beruhigend, ehe sie sich bei ihm unterhakte. Sie räusperte sich und zögerte einen Moment, ehe sie zum finalen Schlag ausholte, wie sie hoffte. „Männer wie Ihr werden nie hinter das Geheimnis kommen, wie man eine Frau so sehr für sich einnimmt, dass sie Hals über
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