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Lustnebel

Lustnebel

Titel: Lustnebel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ivy Paul
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denen Chayton diese wildfremden Menschen zu einem Wíhpeyapi-Fest einlud. Als sie ihn danach fragte, antwortete er lediglich, es handle sich um eine Lakota-Tradition, die ein Mitglied des englischen Adels nie begreifen würde. Da es ihm offensichtlich missfiel, ihr dies näher zu erklären, verzichtete Rowena darauf, ihn zu befragen.
    An diesem Mittag hatten sie Rast in einem kleinen Wirtshaus gemacht, in dem ihnen ein äußerst vorzüglicher Shepherd’s Pie serviert wurde. Sie saßen in einem Separee, und beim Hinein- und Hinausgehen hatte Rowena die unangenehm lauernden Blicke der anderen Gäste, zumeist Bauern und Händler, aber auch einiger Gentry-Angehörige, gespürt.
    Während sie nun in der Kutsche saß, überlegte sie, was der Grund für diese seltsame Stimmung gewesen sein mochte, die sie wahrgenommen hatte.
    „Wir sind jeden Moment am höchsten Punkt der Straße. Von dort hat man einen wunderbaren Blick auf den See“, unterbrach Chayton sein Schweigen. Sie hatten kaum miteinander geredet während der Reise, doch er war jede Nacht zu ihr gekommen, und sie hatten kurzen, wilden Sex gehabt, der, sosehr Rowena ihn auch genoss, in ihr den Wunsch nach ausdauernderem Liebesspiel weckte.
    Sie sah aus dem Kutschenfenster. Vor ihr erstreckte sich ein lang gezogener, tiefblauer See, umsäumt von Wiesen und Wäldern und Bergen, die mal dunkelgrau, dann wieder in den unterschiedlichsten Grünschattierungen die Landschaft prägten.
    An diesem Tag verbarg sich die Sonne hinter schweren Wolken, und aus den Gräsern und Bäumen stieg feiner Nebeldunst auf und breitete sich wie Spinnweben über die Natur. Was im Tal ansprechend wirkte, verbreitete in den Bergen eine ganz andere Stimmung. Dichte weiße Schwaden krochen wie lebendige Wesen über die Hügel, bedeckten ihre sanften Rundungen, erstickten sie und erweckten den Eindruck, dort zu kleben und nie wieder fortzuwollen. Zusammen mit den fehlenden Sonnenstrahlen war es eine unheimliche, traurige Atmosphäre, die der Gegend innewohnte, und Rowena fühlte Beklemmungen in sich aufsteigen. Sie blickte zu Chayton, versuchte zu erkennen, was er denken mochte, aber wie immer war dies ein sinnloses Unterfangen.
    Statt ihn zu fragen, was er empfand, wie sie es gern getan hätte, erkundigte sie sich: „Kann ich Barnard Hall von hier aus sehen?“
    Chayton beugte sich über sie und deutete aus dem Fenster. Der würzige Duft seines Rasierwassers umwehte sie, und sie nahm die Wärme seines Körpers durch ihre Kleiderschichten hindurch wahr. Sie folgte der Richtung seines Fingers und erkannte in der Ferne ein graues Gebäude mit Türmen und Erkern inmitten eines verwilderten Parks. Auf die Entfernung wollte sie nicht näher über den Zustand der Gärten entscheiden. Was sie jedoch ausmachen konnte, war eine Mauer, die das Anwesen von der Vorderseite her zu umschließen schien.
    „Imposant“, äußerte sie sich, weil ihr nichts Besseres einfiel.
    „Protzig“, entgegnete Chayton trocken. „Doch es ist abgeschieden und ruhig.“
    Er warf ihr einen Blick zu. „Genau der richtige Platz für dich, um dich zu erholen.“
    Sie nickte und vermied den Hinweis, dass sie keine Entspannung benötigte. In einigem Abstand zum Herrenhaus entdeckte sie eine Ansammlung von Bauernhäusern und eine Kirche.
    „Wie heißt dieses Dorf?“
    „Blawith Tower.“
    Die Equipage rumpelte weiter, und die Aussicht auf den Ort wurde von der Landschaft verdeckt. Sie fuhren über eine größtenteils ordentlich befestigte Straße, sodass Rowena kaum durchgeschüttelt wurde, was sie als wohltuend empfand.
    Sie musste eingedöst sein, denn als sie das nächste Mal aus dem Fenster blickte, lenkte der Kutscher sie gerade durch Blawith Tower.
    Das Dörfchen war eins der hübscheren Sorte. Die Bewohner hielten ihre Häuschen sauber und renoviert, und die Frauen, die Rowena vor einem der Cottages entdeckte, wirkten adrett und zufrieden.
    Rowena lächelte, bereit, die Einwohnerinnen zu grüßen. Doch dazu kam es nicht, denn in dem Moment, als die beiden das Wappen der Kutsche erkannten, wandten sie sich um und liefen mit gesenkten Köpfen in die entgegengesetzte Richtung. Verwundert sah Rowena hinter ihnen her.
    Einige Männer standen vor dem örtlichen Pub, und auch ihr Verhalten schien äußerst merkwürdig: Sie starrten der Kutsche mit verstockten, ängstlichen Mienen hinterher. Rowena warf rasch einen Blick auf Chayton, der sich nicht die Mühe machte, hinauszusehen. Sie fragte sich, ob er derartige Reaktionen

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