Lustnebel
genug Kraft, ihren Kopf zu heben.
„Reiß dich zusammen, Rowena. Lauf jetzt!“, knurrte Chayton.
Rowena hob unter unsagbaren Anstrengungen ihren Kopf. Mit der gleichen Gewaltanstrengung öffnete sie ihre Augen. „Warum lasst ihr mich nicht in Ruhe? Ich bin so müde!“ Sie ließ ihren Kopf auf ihre Brust sinken.
Chayton schnaubte. „Müde? Meine Liebe, du bist betrunkener als ein Seemann. Noch mehr und deine Ausdünstungen entzünden sich am Kaminfeuer“, erwiderte er.
Er schüttelte sie ein weiteres Mal und zerrte sie gemeinsam mit Cain das Zimmer auf und ab.
Die Trägheit in ihren Gliedern ließ langsam nach, und das Wattegefühl in ihrem Kopf büßte an Intensität ein. Sie hob an zu sprechen, verlor aber den Gedanken, den sie aufnehmen wollte.
„Mylord, ich bin zutiefst beschämt. Ich ahnte nicht, dass Mylady ein Problem haben könnte“, plapperte Cain aufgeregt.
„Problem?“, lallte Rowena. „Ich habe kein Problem. Schon gar nicht mit Alkohol.“
„Dann hast du eines ohne ihn“, konterte Chayton. Er und Cain kehrten um und nahmen die Wanderung durch das Zimmer erneut auf. „Du lagst auf dem Kaminvorleger, eine Flasche Fusel neben dir. Woher hattest du das Teufelszeug?“
„Keine Ahnung.“ Rowena versuchte, den Kopf zu schütteln, und knallte mit ihrer Stirn gegen Chaytons Schulter. Er nutzte den Moment, ergriff ihr Kinn und starrte ihr in die Augen. Chayton nickte zufrieden.
„Cain, du kannst gehen, Mylady hat das Schlimmste überstanden“, forderte er seinen Butler auf. Chayton wartete, bis Cain den Raum verlassen hatte.
„Ich habe keinen Sinn für deine Albernheiten, Rowena. Ich werde dich nicht nach London zurückkehren lassen. Arrangiere dich mit dem Landleben“, knurrte er.
Er schob sie auf den Sessel am Feuer und schenkte ihr Tee ein. „Bist du in der Lage, allein zu trinken, oder muss ich dir dabei helfen?“
Rowena nahm die Tasse an sich. Sehr, sehr vorsichtig hob sie das Gefäß an ihre Lippen und trank. Der Tee war heiß und süß und stark. Nach den ersten Schlucken, die ihre Kehle hinabrannen, merkte sie, wie gut ihr das Heißgetränk tat. Sie hielt Chayton die Tasse entgegen, eine stumme Aufforderung nach mehr, der er nachkam.
Als sie auch diese Tasse geleert hatte, erkannte sie, wie durstig sie gewesen war. Noch immer spürte sie die Trunkenheit in ihrem Kopf, doch das rückblickend beängstigende Gefühl des Kontrollverlusts über Glieder und Sprache ließ langsam nach.
Chayton fixierte sie finster. „Du hältst dich künftig von Alkohol fern“, bestimmte er. Völlig zusammenhanglos für Rowena, fügte er an: „Ich habe alles für ein Inipi morgen vorbereitet. Du kannst daran teilhaben, wenn du möchtest.“
Er strich sich das Haar zurück und ging zur Tür. Rowena sah ihm nach und sank dann in den Sessel zurück. Es erschien ihr wie Tage, in denen Chayton und Cain mit ihr im Zimmer umhergewandert waren.
Leichte Übelkeit gesellte sich zum Schwindel. Sie versuchte, sich zu erinnern, was vor ihrem Gedächtnisverlust geschehen war. Es gelang ihr nicht. Sie hatte mit einer Erkältung das Bett gehütet, das war das Letzte, das sie noch wusste. Dann hatte Chayton sie wachgerüttelt.
Sie schüttelte den Kopf, was sofort mit fiesem Schmerz bestraft wurde, der von der Schädeldecke bis zu den Augäpfeln schoss und dort brannte und wütete wie dünnflüssige Lava. Sie biss sich auf die Lippen und schleppte sich ins Bett zurück. Nachdem sie eine Weile im Bett gesessen hatte, überkam sie mit einem Schlag Müdigkeit.
Sie zog die Bettdecke über sich und schlief im gleichen Moment ein.
Während sie selbst züchtig bekleidet war, indem sie eine dünne Bluse und einen langen Rock trug, hockte Chayton ihr nahezu nackt gegenüber. Lediglich sein Geschlecht bedeckte ein Lendenschurz. Sie hatte ihn gefragt, ob es nicht gotteslästerlich sei, unbekleidet eine religiöse Feier zu zelebrieren. Mit scheelem Seitenblickerklärte ihr Chayton, dass es beim Volk der Lakota kein Widerspruch war, nackt und betend vor Gott zu treten.
Rowena saß vor Chayton auf der Erde, zwischen sich und dem blanken Boden waren Decken ausgebreitet wie bei einem Picknick. Nur dass sich über ihnen ein Dach aus Haselnussruten und Weidengerten erstreckte. In Abständen baumelten Kräuterbüschel von der Decke und schwängerten den Raum mit ihrem würzigen Duft. Im Innern der Schwitzhütte war es dunkel. Hitze und Dampf füllten den Raum zusätzlich. Rowena fühlte sich wie in einer anderen Welt.
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