Lustvolles Erwachen
Schroeder mit einem leichten deutschen Akzent. »Mein Dieter war Sergeant im zwanzigsten Infanterieregiment. Er ist in der Schlacht von Vitoria gefallen. Doch niemand möchte eine Frau mit meinem … Akzent einstellen.«
Das schien auch sie zu belustigen. Grace war nicht so gut gelaunt. Sie glaubte nicht, dass es der Akzent war, der eifersüchtige Frauen daran hinderte, sich Barbara Schroeder ins Haus zu holen. Wenn Schroeders Geschichte wahr war, hatte Diccan etwas Löbliches getan. Wenn nicht …
Da sie erst so kurz verheiratet war, entschied Grace sich, erst mal das Beste über ihren Mann zu denken. Sie ließ sich von Schroeder dabei helfen, sich für die Nacht fertig zu machen. Auch das war eine neue Erfahrung, von der sie sich noch nicht sicher war, ob sie ihr gefiel. Aber sie konnte nicht genau sagen, ob es daran lag, dass sie plötzlich eine Zofe hatte, oder daran, dass es diese Zofe war.
Am zweiten Tag wachte Grace mit einem Gefühl der Leere auf. Angesichts der Tatsache, dass sie sich, eingekuschelt in meterweise Baumwollstoff und Gänsedaunen, in einem warmen Zimmer und in einem reizenden Hotel befand, fragte sie sich, woran das liegen mochte. Sicherlich hatte sie turbulente Zeiten durchgemacht, doch was Umbrüche und Turbulenzen betraf, hatte sie sich im Laufe ihres Lebens daran gewöhnt. Ja, sie vermisste ihren Vater, aber die Wahrheit war, dass sie sich auf seinen Verlust vorbereitet hatte, seit sie wusste, was Soldat zu sein bedeutete. Ihr altes Leben war vorbei, doch auch das war unvermeidbar. Ihre Wünsche und Bedürfnisse wurden erfüllt, ihre Füße waren trocken, und ihr Magen war voll. Was stimmte also nicht?
Und dann hörte sie es. Stille.
Sie umgab sie, schirmte sie vom Rest der Welt ab. Unter ihrem Fenster waren die Geräusche der Stadt zu hören – Karrenräder rumpelten, Straßenhändler schrien, Hufe klapperten. Aber der Lärm klang fast unwirklich. Es war die Stille, die echt war und in ihren Ohren widerhallte wie etwas Lebendiges.
Es erinnerte sie an die Momente vor einer Schlacht: die Minuten, wenn das Leben auf der Grenze zu einer ungewissen Zukunft balancierte. Wenn jeder Mann und jede Frau zwischen Vorbereitung und Handeln innehielten und auf den Sturm warteten, der über sie hereinbrechen würde.
Zumindest hatte sie damals gewusst, was zu tun war. Sie hatte die Bedrohungen und die Reaktionen darauf gekannt. Jetzt wusste sie nicht einmal mehr das. Selbst nachdem sie eine Zeit lang bei Lady Kate gelebt hatte, wusste sie nicht, was sie von dieser neuen Welt zu erwarten hatte. Sie hasste dieses Gefühl. Schlimmer noch: Sie hasste das Gefühl, unvorbereitet zu sein. Dass es niemals reichen würde – egal, wie sehr sie es versuchte oder wie geschickt sie sich anstellte. Sogar ihre Zofe schien besser in diese Welt zu passen als sie.
Sie wünschte, ihre Mutter wäre hier, um ihr mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Um ihr Kraft zu geben. Allerdings war ihr klar, dass ihre Mutter keine Hilfe gewesen wäre – ob sie nun hier war oder nicht.
Mit einem ungeduldigen Schnauben schlug Grace die Decke zurück und kletterte aus dem Bett. Sie hatte kein Verständnis für Menschen, die Zeit damit vergeudeten, sich in ihrem Unglück zu suhlen. Das machte sie ungeduldig. Es war viel besser zu handeln.
Es würde ganz leicht werden. Sie hatte ihr Leben damit verbracht, das zu sein, was die anderen von ihr erwarteten: Tochter, Freundin, Schwester, Haushälterin, Wächterin, Geburtshelferin und Bestatterin. Sie musste nur herausfinden, was Diccan brauchte, und dann konnte sie diese Rolle ausfüllen. Sie hatte keine Ahnung, wie sie sich Diccans Liebe verdienen sollte, doch sie war sehr gut darin, sich unentbehrlich zu machen.
Sie legte sich ihren Umhang um, humpelte zu dem tragbaren Schreibtisch und holte die Listen hervor, die sie in der Kutsche begonnen hatte. Es war an der Zeit anzufangen.
Am Ende des Nachmittags hatte sie Geld von ihrem Konto bei der Hoare’s Bank abgehoben und sich um eine Liste der zum Verkauf stehenden Anwesen bemüht. Sie hatte Informationen über Möbelhäuser, Galerien und über zuverlässige Handwerker gesammelt und sich an die Parker- Arbeitsvermittlung gewandt, um Bedienstete zu engagieren. Und durch diese kleinen Erfolgserlebnisse ermu tigt, hatte sie ihre beste graue Haube und ihren Mantel angezogen und sich auf den Weg gemacht, um Lady Kates Modistin, der großen Madame Fanchon, gegenüberzutreten.
»Sie sind die Gesellschafterin von der Durchlaucht of Murther,
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