Lustvolles Erwachen
heftig, dass ihm die Brille wieder die Nase hinabrutschte. »Nennen Sie mich Chuffy. Jeder nennt mich so.«
Er war das komplette Gegenteil von Diccan: füllig und ein bisschen zerknittert und insgesamt gemächlich. Grace fand, dass es leicht war, mit ihm zu lächeln.
»Danke«, erwiderte Grace, »das ist sehr nett.«
Grace strich sich noch einmal über ihr Kleid und sah sich verstohlen nach einer Möglichkeit um, schnell und unauffällig zu verschwinden. Offenbar hatte Chuffy jedoch andere Pläne.
»Sind Sie unverletzt, Ma’am?«, fragte er, nahm seinen Hut ab und schien nicht zu bemerken, dass sein Pferd an seiner Krawatte knabberte. »Das war ein ziemlicher Sturz.«
»Mir geht es gut. Danke.«
Sein Erröten sah noch unvorteilhafter aus als bei Grace. »Glück, Ma’am. Glück. Ich kann nicht zulassen, dass Ihnen irgendetwas passiert. Sie haben meinem Bruder in Cardiff das Leben gerettet, wissen Sie noch?«
»Coruña«, korrigierten Diccan und Mr. Ferguson ihn wie aus einem Mund.
»Meinetwegen«, entgegnete Chuffy. Sein Lächeln war ansteckend. »Wie auch immer.«
»Hast du dir wirklich nicht wehgetan?«, fragte Diccan und ergriff ihre Hand.
Grace erkannte echte Besorgnis in seinem Blick und errötete vor Freude. »Nur mein Stolz ist angeknackst. Doch auch der ist wie ich ein alter Kämpfer und wird sich bald wieder erholt haben.«
Er hat keine Handschuhe an , dachte sie, obwohl es vollkommen unwichtig war. Seine Haut war rau und warm, sein Griff sanft. Um seine Augen sah sie winzige Fältchen. Grace konnte ihren Blick nicht von ihm abwenden. Für diesen einen Moment schien es Diccan nicht anders zu gehen.
Lady Bea mahnte zur Eile. »Sirup!«, rief sie aus der Kutsche.
Grace zuckte zusammen und wurde aus ihren Grübeleien gerissen. »Ich sollte Bea Bescheid sagen, dass es mir gut geht.«
Diccan wirkte überrascht, dass er noch immer bei Grace stand. »Natürlich«, sagte er und ließ ihre Hand los.
Sie wollte protestieren. Sie wollte den Arm ausstrecken und seine Wärme wieder spüren. Es war der quirlige und im Augenblick etwas begriffsstutzige Chuffy Wilde, der vortrat und ihr seinen Arm anbot. »Wäre mir eine Ehre, Sie zu begleiten, Ma’am«, sagte er. Mit der freien Hand hielt er die Zügel seines Fuchses, der inzwischen an seinem Hut knabberte.
Grace wartete einen Herzschlag lang darauf, dass Diccan widersprach. Selbstverständlich tat er das nicht. Sie versuchte, nicht zu seufzen, und lächelte Chuffy zu. »Ihr Bruder ist nicht zufällig Brock Wilde, oder?«
Chuffy strahlte. »Sie erinnern sich an ihn!«
»Wer könnte ›Wilde and Ready‹ vergessen?«, fragte sie und legte die Hand auf Chuffys Arm. »Während der Belagerung von Burgos hat er uns eigenhändig mit gekochtem Kaninchen versorgt.«
Hinter ihnen konnte sie Diccan seufzen hören. »Noch ein Herz erobert. Ich sage dir, Ferguson, das reicht, um das Selbstvertrauen eines Mannes zu erschüttern.«
»Nur Freunde, Hilliard«, versicherte Chuffy. »Ich bin nicht in der Stimmung für ein Duell. Das würde meiner Mutter auch missfallen.«
Paarweise gingen sie zurück zur Kutsche, als wäre es so vereinbart worden. Die Aufmerksamkeit, die Grace auf sich gezogen hatte, ließ wieder nach. Nicht zuletzt Diccans besitzergreifendes Verhalten und die gute Laune seiner Freunde sorgten dafür. Grace wusste, dass sie dankbar sein sollte. Sie sollte sich freuen, und sie freute sich auch. Egoistischerweise wünschte sie sich jedoch, dass Diccans Sorge nicht nur reine Höflichkeit wäre, sondern dass mehr dahinterstecken würde. Sie wünschte sich, dass es die Wahrheit gewesen wäre, als er gesagt hatte, sie besäße sein Herz.
Ach Grace , dachte sie, während Diccan ihr mit einem schwungvollen Handkuss in Kates Kutsche half, du warst schon immer ein gieriges Kind.
»Danke, Mr. Hilliard«, sagte Jim Jackson. Sein rundes Gesicht hatte er zu einem schiefen Lächeln verzogen. »Das war ausgesprochen unterhaltsam. Geradezu schlagfertig.«
Diccan nahm sich das Handtuch, das Ian Ferguson ihm zugeworfen hatte, und wischte sich den Schweiß ab, der ihm das Gesicht herunterströmte. In der gegenüberliegenden Ecke des Raumes versuchte sein junger Gegner, sich auf den Beinen zu halten. Blut rann aus seiner gebrochenen Nase und über seinen dürren Oberkörper, und sein rechtes Auge schwoll an. Es hätte noch schlimmer sein können. Diccan hatte überrascht festgestellt, wie gern er den kleinen Mistkerl umgebracht hätte. Wenn der Junge sich seiner
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