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Luther. Die Drohung

Luther. Die Drohung

Titel: Luther. Die Drohung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Cross
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dünne,
braune Mappe bei sich.
    Das Zimmer ist in künstliches, grünliches Dämmerlicht getaucht. Der
Junge hängt an einem Beatmungsgerät, einem Herzfrequenzmesser.
    Howie ist hier, döst auf einem Plastik-Schalensessel, ihr Kopf ist
auf ihre Brust gesunken.
    Sie zuckt zusammen, schaut auf, sieht Luther. Sammelt sich.
    »Hat er schon was gesagt?«, fragt Luther.
    »Nein.«
    Luther schüttelt den Kopf, als hätte er die Frage gar nicht stellen
brauchen. Er tritt näher ans Bett heran, an den bandagierten Jungen am
Morphiumtropf.
    Der Junge öffnet die Augen. Weiß, dass Luther da ist.
    Luther nimmt sich einen Stuhl und geht mit seinem Gesicht nahe an
das des Jungen heran.
    »Du erwartest wahrscheinlich, dass ich Mitleid mit dir habe«, sagt
er. »Und das habe ich auch. Ich finde es grausam, was dein Dad dir angetan hat.
Aber jeder, der jemals jemanden umgebracht hat, war einmal ein Baby, deswegen
bist du letzten Endes für das verantwortlich, was du getan hast. Aber du kannst
uns helfen. Du kannst uns helfen, das wieder in Ordnung zu bringen.«
    Der Junge dreht den Kopf auf dem Kissen. Von Luther weg.
    »Ich weiß, dass du ihn liebst«, fährt Luther fort. »Ich weiß, dass
du ihm nicht wehtun willst. Dafür kannst du nichts, so sind wir nun mal. Liebe
kann eine Art Überlebensmechanismus sein. Manchmal lieben wir die Menschen, die
wir brauchen, weil wir sie brauchen. Wie Hunde. Aber das bedeutet nicht automatisch, dass du gern
getan hast, was ihr zusammen gemacht habt, diese schrecklichen Dinge. Denn das
hast du nicht. Weißt du, woher ich das weiß?«
    Der Junge starrt ihn an. Das eine Auge ist zugeschwollen.
    »Ich weiß, dass du die 999 gewählt hast«, sagt Luther. »In der
Nacht, als er die Lamberts getötet und ihr Baby entführt hat. Ich weiß, dass du
wolltest, dass wir ihn erwischen.«
    Der Junge schaut weg, blinzelt zur Decke.
    »Und es waren nicht nur die Notrufe, nicht wahr? Denn letzte Nacht
hat jemand alle Familien in London mit dem Nachnamen Dalton angerufen. Hat sie
gewarnt. Oder es versucht. Warum sollte jemand das tun, was glaubst du?«
    Luther greift in die Mappe, nimmt ein Foto von Mia Dalton heraus.
Sie lächelt irgendwo an einem Strand. »Jetzt hat er sich Mia geholt. Aber das
weißt du, nicht wahr? Du weißt genau, was er vorhat – denn du hast versucht,
Mia dabei zu helfen, ihm zu entkommen.«
    Er lehnt sich zurück, verschränkt die Arme, hält das Bild von Mia
wie eine Spielkarte, die er einsetzen will.
    »Viele Leute«, sagt er, »und damit meine ich viele Leute, glauben,
du hast versucht, sie dir für dich zu holen; sie glauben, dass du mit ihr Dinge
tun wolltest. Heimlich. Wenn du verstehst, was ich meine. Aber ich glaube
nicht, dass das stimmt. Ich glaube, du hast versucht, sie zu beschützen. Du
wolltest nicht, dass es ihr so schlimm ergeht wie dir.«
    Der Junge ballt schwach die Fäuste. Muskeln bewegen sich in seinen
mageren Unterarmen. Er starrt mit einem Auge an die Decke.
    Luther beugt sich weiter vor. Sieht, wie sich das grüne Licht im
Meniskus der Tränen auf der Augoberfläche des Jungen bricht.
    »Ich könnte dir alles über sie erzählen«, sagt er. »Ich könnte dir
erzählen, dass sie Ponys und Justin Bieber mag. Aber Tatsache ist, damit würde
ich meine Zeit verschwenden, nicht wahr? Denn du und dein Dad, ihr wisst das
schon. Ihr wisst alles über sie.«
    Nichts.
    »Bloß, er ist nicht dein Dad«, sagt Luther. »Das dürfen wir nicht
vergessen, nicht? Das ist die Hauptsache. Er ist nicht dein echter Dad.«
    Der Junge schließt die Augen.
    »Vor Gericht zählt das nicht«, sagt Luther. »Aber ich habe dein Herz
auf dem Bildschirm da verfolgt. Die Maschine mit dem Ping.« Er grinst. »Hast du
den Sketch mal gesehen? Wahrscheinlich nicht. Das war vor deiner Zeit. Damals,
Anfang der Achtziger, als ich ein kleiner Junge war. Aber egal, die Maschine
mit dem Ping sagt mir, wann du lügst und wann nicht – selbst wenn du schweigst.
Denn als ich gesagt habe, er ist nicht dein Dad, hat die Linie einen großen
Zacken gemacht.«
    Der Junge murmelt etwas, vielleicht einen Widerspruch. Es ist zu
leise, um es zu verstehen.
    Luther tut einen langsamen, beruhigenden Atemzug. Dann beugt er sich
noch weiter vor, so weit, dass er das Ohr des Jungen mit den Lippen berühren
könnte.
    »Der Mann, der sich dein Dad nennt«, sagt er. »Der Mann, der sich
    Henry Grady nennt. Er hat dich am 8. September 1995 gekidnappt. Du warst gerade
sechs geworden.«
    Die Lippe des Jungen bebt.
    Luther

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