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Luther. Die Drohung

Luther. Die Drohung

Titel: Luther. Die Drohung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Cross
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graubraun-khakifarbenen
Kampfjacke.
    Er hat im Park acht Kaninchen gefangen. Jetzt zappeln sie quiekend
in seinem Spezialrucksack. Wenn man sie lang genug drinlässt, nagen sie sich
durch ihre jeweiligen Beutel und fangen an, sich gegenseitig zu beißen wie
Haifischjunge im Mutterleib.
    Patrick geht durch das elektrische Tor in den riesigen,
überwucherten Garten. Das Tor schließt sich hinter ihm.
    In der Stille hört man die angenehmen Geräusche von Nieselregen auf
totem Laub, dicken Tropfen, die von mächtigen Bäumen fallen, entferntem
Straßenverkehr. Hinter all dem kann er die gedämpften, kläglichen Schreie eines
weinenden Babys ausmachen.
    Er geht hinten ums Haus herum zum am besten abgeschirmten Teil des
Gartens. Er öffnet eine schwere Wellblechtür und betritt den Betonboden der
langen, halbdunklen Garage.
    Er geht am Laufband vorbei, auf dem sie die Hunde trainieren, um
ihre kardiovaskuläre Fitness und ihre Ausdauer zu steigern.
    Er erreicht die Zwinger. Die stillen Hunde warten, stämmige,
muskulöse Terrier mit breiten Köpfen, ausgeprägten Nackenmuskeln und großen
Froschmäulern. Alle tragen eine schwere Kette um den Hals. Die Ketten kräftigen
Hals und Oberkörper.
    Die Hunde begrüßen ihn in aufgeregter Stille. Henry hat Gewebe aus
ihren Stimmbändern entfernt.
    Die Hunde verehren Henry wie einen launischen Gott, aber sie wissen,
dass sie ihr Futter von Patrick bekommen – und dass er am Morgen oft lebendige
Nahrung bringt; manchmal Welpen oder Kätzchen, die »kostenlos an gutes Zuhause«
abgegeben wurden. Manchmal im Park gefangene Kaninchen oder Ratten.
    Als er den Sack mit den Kaninchen hochhebt, folgen die Hunde ihm mit
gierigen, blöden Augen.
    Patrick stülpt den Sack in einen Drahtkäfig und sieht dem darauf
folgenden Gemetzel zu. Die Kaninchen sind schlauer als die Hunde, verfügen über
funkelnde Intelligenz und einen selbstverständlichen Überlebenswillen.
    Er sieht zu, wie die Hunde sie zu feuchten, schlaffen Fetzen
zerfleischen, als die Garagentür über den Beton schabt und Henry mit ratlosem
Gesichtsausdruck hereinkommt.
    »Emma will ihr Fläschchen nicht«, sagt er. »Ich weiß nicht, was ich
machen soll.«
    Patrick folgt Henry ins Haus und die Treppe hinauf.
    Er wäscht sich am Waschbecken die Hände mit Flüssigseife, die sie
nach Orangen duften lässt.
    Dann geht er weiter zum Kinderzimmer. Wieder überrascht ihn die
krötenartige Hässlichkeit des Babys.
    Einmal hat Patrick ein Knäuel Rattenbabys gefunden. Zu der Zeit, als
er ein kleiner Junge war und im schalldichten Keller schlief. Die Ratten waren
eingezwängt zwischen einem losen Stück Gipsplatte und Henrys gepfuschter
Lärmdämmung, eine Handvoll rosafarbener, blinder und quiekender Neugeborener,
miteinander verflochten und verknotet an ihren reptilienhaften Schwänzen, die
sich gegenseitig in alle Himmelsrichtungen zerrten.
    Patrick hatte in Panik losgeheult und mit seinen kleinen Fäusten
gegen die massive Tür gehämmert. Er weinte und weinte, aber natürlich kam
niemand. Henry kam erst zur Abendessenszeit herunter. Er brachte Patrick ein
Schüsselchen warme Milch und ein paar Scheiben Weißbrot. Als er den Rattenkönig
sah, wich selbst der aalglatte, raubgierige Henry entsetzt zurück.
    Manchmal muss Patrick schmunzeln, wenn er sich daran erinnert, wie
er und Henry an jenem lange zurückliegenden Tag reagiert haben. Wenn Patrick
heute einen Rattenkönig hinter der Fußleiste fände, würde er sich glücklich
schätzen. Es ist ein seltenes Phänomen.
    Er würde ihn – noch blind quiekend – mit einer Schaufel aufheben und
in einem Glasballon in Alkohol einlegen. Er würde ihn sich in seinem Zimmer ins
Regal stellen.
    Ein Teil von ihm verspürt Hass gegenüber dieser wütenden, hilflosen
Kreatur, die sich auf einer mit Teddybären bedruckten Kunststoffmatratze
windet. Aber er verspürt auch Mitleid.
    »Sie hustet«, sagt Henry.
    »Dann bring sie zum Arzt.«
    »Das kann ich nicht.«
    »Hast du versucht, sie zu füttern?«
    »Natürlich habe ich versucht, sie zu füttern, verdammt noch mal«,
antwortet Henry.
    »Ist die Milch zu heiß?«
    »Nein.«
    »Zu kalt?«
    »Nein. Sie … sie wirkt einfach schwach. Und sie schläft viel.
Glaubst du, sie schläft zu viel?«
    »Keine Ahnung.«
    »Sie sollte lang genug wach bleiben, um zu essen, oder? Babys
kriegen Hunger.«
    »Hat sie Fieber?«
    Henry greift ins Gitterbett, schiebt Emmas Gliedmaßen so zurecht,
dass er unter ihrer Achsel die Temperatur messen kann. Patrick

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