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Luther. Die Drohung

Luther. Die Drohung

Titel: Luther. Die Drohung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Cross
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den
ganzen Tag mit diesen Sachen. Du siehst sie überall.«
    »Ich weiß.«
    »Sie sind nicht überall.«
    »Ich weiß.«
    »Als wir jung waren«, sagt sie, »als du gerade angefangen hattest,
bist du in diese Wohnung gegangen. Eine alte Frau war allein gestorben. Sie
hatte etwa zwei Jahre lang tot in ihrem Sessel gelegen. Sie war mumifiziert.«
    »Irene«, sagt er.
    »Genau. Du kamst nach Hause. Wir hatten diese kleine Wohnung in der
Victoria Road, die winzig kleine mit dem Gemeinschaftsbad und dem seltsamen
Paar unter uns. Wendy und Dave.«
    Er lächelt traurig, als er sich daran erinnert.
    »Ich bin eingeschlafen, bevor du zurück warst«, sagt Zoe. »Du kamst
rein, hast dich auf die Bettkante gesetzt. Ich sah dir zu, wie du in etwa zehn
Minuten einen halben Liter Whisky getrunken hast. Es war das erste Mal, dass
ich dich richtig weinen sah.«
    Er zuckt mit den Schultern. »Es war traurig.«
    »Ich weiß, dass es traurig war, es war wirklich traurig. Ich denke
immer noch manchmal an sie.«
    »Ich auch.«
    »Aber in der Nacht, als du betrunken warst, warst du wütend. Ich
meine, richtig wütend. Erschreckend wütend.«
    Er dreht sich zu ihr, erinnert sich nicht. »Wütend worüber?«
    »Über die Witze, die sie machten. Die Polizisten, der
Leichenbeschauer, das Ambulanzteam. Über den Mangel an Respekt. Du hast gesagt,
sie machten aus ihr ein Objekt, genau wie ein Mörder es machen würde. Und du
bist über dich selbst so wütend geworden, weil du nichts zu ihnen gesagt hast.
Ihnen nicht gesagt hast, dass sie mehr Respekt zeigen sollen.«
    »Ich war jung.«
    »Und du hast dich gefragt, ob du nicht einen schrecklichen Fehler
gemacht hast – das Falsche getan hast, als du zur Polizei gegangen bist.« Sie
wischt sich nasse Strähnen aus den Augen. »Damals hast du zum ersten Mal davon
gesprochen, die Polizei zu verlassen. Vor sechzehn Jahren. Und seither sprichst
du ständig davon, aufzuhören.«
    »Ich weiß.«
    »Aber du hast es nie getan.«
    »Ich weiß.«
    »Und du wirst es auch nie tun.«
    Darauf antwortet er nicht. Wie könnte er?
    Sie tritt näher. Sie stehen Seite an Seite, betrachten die Fliesen.
Sie fragt: »Hast du schon mal von Bipolar-II-Störungen gehört?«
    Er lacht.
    »Sie werden oft nicht diagnostiziert«, sagt sie. »Ich hab das
recherchiert. Hypomanie äußert sich oft als hyperaktives Verhalten.«
    »Ich bin nicht manisch. Ich bin erschöpft.«
    »Aber du kannst nicht schlafen.«
    »Das ist nicht das Gleiche.«
    »Ich meine, du schläfst überhaupt nicht . Überhaupt gar nicht.«
    »Dann hol ich mir eben Tabletten.«
    »Du sagst, sie trüben deinen Verstand.«
    »Das stimmt.«
    »Menschen mit Bipolar-II haben ein hohes Selbstmordrisiko.«
    »Ich bin nicht selbstmordgefährdet.«
    »Im Ernst? Niemals? Es kommt dir nie in den Sinn?«
    »Es kommt jedem in den Sinn. Ab und zu.«
    »Mir nicht.«
    »Es ist einfach ein Denkmuster«, sagt er. »Suizidgedanken: ›Wenn ich
es machen müsste, wie würde ich es machen?‹ Es ist kein Vorhaben. Es ist ein
Spiel. Mehr oder weniger.«
    »Hypomanie manifestiert sich bei einer Bipolar-II-Störung in
Anspannung und Schlaflosigkeit«, erklärt sie.
    »Tu mir das jetzt nicht an«, sagt er. »Bitte. Nicht jetzt.«
    »Wann, wenn nicht jetzt?«
    »Bald. Wir reden bald darüber.«
    Sie lacht, und er begreift das Ausmaß ihrer Verbitterung.
    »Ich verspreche es«, sagt er.
    »Du versprichst es immer. Mehr tust du nicht.«
    »Dann weiß ich nicht, was ich sagen soll.«
    »Vielleicht gibt es nichts zu sagen. Weil wir beide schon alles
gesagt haben, hundertmal. Für mich ist es genauso langweilig, es zu sagen, wie
es für dich sein muss, es zu hören.«
    Er antwortet nicht.
    Sie sagt: »Sieh mir in die Augen, John. Sieh mich an.«
    Er dreht sich um. Er sieht sie an. Sie ist nass. Elegant. Durchnässt
vom Londoner Regen. Er liebt sie unbeschreiblich.
    Sie fragt: »Was siehst du?«
    »Ich weiß nicht«, sagt er. »Dich eben.«
    »Und genau das ist dein Problem.«
    Sie wirft ihm einen Blick zu, in dem Jahre ermatteter Liebe liegen.
    Er sieht ihr nach, als sie weggeht – vollkommen gefasst und
vollkommen verloren für ihn.
    Nachdem sie gegangen ist, trinkt er den Kaffee aus und
zerknüllt den Becher, er wirft ihn in den Müll und geht zu Howie. Sie sitzt am
Steuer neben einer Parkuhr, liest die Abendausgabe des Standard : Maggie Reilly
auf dem Titelblatt, ernst und glamourös. Ein kleineres Bild zeigt den
Lambert-Tatort.
    »London wartet«, sagt Luther.
    Howie stöhnt, faltet

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