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Luther. Die Drohung

Luther. Die Drohung

Titel: Luther. Die Drohung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Cross
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ist noch trinkbar, er könnte sich damit eine Tasse
Tee machen. Er starrt auf die Milch, während der Kühlschrank piepst, und er
hört weder den Schlüssel im Schloss noch, wie die Tür sich öffnet oder Zoe in
der Diele ihre Taschen abstellt. Er hört nicht, wie sie durch die Diele geht
und in der Küchentür stehen bleibt.
    Sie sagt: »Du bist zu Hause.«
    Er ignoriert die Überflüssigkeit dieser Aussage. Es ist einfach nur
etwas, was Menschen zueinander sagen. Die meisten Worte, die Menschen
zueinander sagen, bedeuten nicht das, was sie zu bedeuten scheinen. Gesprochene
Worte tragen ihre wahre Bedeutung mit sich wie Ratten infizierte Flöhe.
    »Ich hab dich bestimmt hundertmal angerufen«, sagt sie. »Dein Handy
war aus.«
    »Wenn man sein Handy an lässt, klingelt es die ganze Zeit.«
    Der Kühlschrank piepst immer noch. Er schließt die Tür. Er denkt,
wenn er das mit der Milch erklären könnte, dann wäre alles gut. Er fragt: »Hast
du die Nachrichten gesehen?«
    Ihre Lippe zittert vor Zorn. »Natürlich habe ich die Nachrichten
gesehen. Ich hab den ganzen Tag nichts anderes gemacht, als über die verdammten
Nachrichten zu reden. Meine Mutter hat angerufen, um über die Nachrichten zu
reden und zu fragen, ob es dir gut geht. Die ganze Welt redet über die
Nachrichten. Der einzige Mensch, der mit mir nicht über die verdammten
Nachrichten geredet hat, bist du.«
    Er ist erschüttert über ihre Bissigkeit. Er schluckt sie hinunter
und fragt: »Willst du einen Drink?«
    »Nein.«
    Luther auch nicht. Er schaltet den Wasserkocher ein.
    Sie sagt: »In der Dose ist guter Tee.«
    Sie meint die hohe Dose mit den losen Schwarzteeblättern – typisch
für die Dinge, die sie vom Bauernmarkt mitbringt.
    Sie hat immer große Freude daran, ihm diese Dinge zu zeigen, sie
nacheinander aus Einkaufstaschen herauszuholen. Dann bleiben sie in der Küche –
er trinkt richtigen Tee, Zoe trinkt irgendeine Kräutermischung –, und sie
erzählt ihm alles über die Brotspezialität, das Biofleisch, die Gewürze und die
Weine und das Biogemüse, die streng riechenden, hausgemachten Käsesorten. Sie
reicht ihm alles zum Begutachten. Er kommentiert die Magerkeit des
Rindfleischs, die angenehme Festigkeit des Specks, das Gewicht der Bioeier, das
Aroma des Weins. Er ist kein großer Feinschmecker, Essen ist Essen, aber er
genießt diese Samstagnachmittage im Sommer und im Herbst, wenn er hier mit
seiner Frau in der Küche sitzt.
    Später, wenn es ein besonders guter Tag ist, setzt er sich hin und
liest, während sie für sie beide kocht. Sie ist keine geschwätzige Köchin, sie
mag es, sich zu konzentrieren, den Kopf frei zu bekommen. Sie ist organisiert
und geht methodisch vor, legt immer zuerst die Zutaten in genauer
Übereinstimmung mit dem Rezept bereit.
    Erst wenn sie weiß, dass sie alles zur Hand hat, was sie braucht,
beginnt sie zu improvisieren. Genau diese Art der Improvisation bereitet ihr
die größte Freude.
    Es ist ihr nicht bewusst, aber sie spricht mit sich selbst, während
sie kocht, sie wiederholt mit leicht geöffneten Lippen Arbeitsgespräche, macht
Bemerkungen über das Essen, rekapituliert Ereignisse aus ihrer Arbeitswoche.
Verarbeitet alles.
    Es gefällt ihm, sich über sein Buch zu beugen, nur so zu tun, als
läse er, und zuzuhören. Er liebt sie heftig und intensiv in jenen Momenten,
wenn sie ihre Gedanken und imaginären Konflikte durchgeht.
    Später trinkt sie ein bisschen Wein und blättert die
Samstagszeitungen durch, während er den Abwasch macht. Es macht ihm nichts aus,
abzuwaschen. Sie hat ihm nicht nur einmal gesagt, dass das Abwaschen in seiner
Natur liegt.
    Nun siedet das Wasser und Zoe sieht ihn mit Eis in den Augen an. Er
ist erschöpft. Ein Muskel in seinem Oberarm zuckt. Er sagt: »Ich hätte anrufen
sollen.«
    »Ja, du hättest anrufen sollen.«
    »Ich war …«
    »Beschäftigt?«
    Ja, möchte er sagen. Ich war beschäftigt . Aber er tut es nicht. Er sagt: »Es tut
mir leid.«
    Sie zieht den Mantel aus, endlich. Hängt ihn über die Lehne eines
Küchenstuhls. Dann umarmt sie ihn, legt den Kopf an seinen Hals, sodass er ihr
Haar und ihre Haut riechen kann, und sogar, dass sie heute eine heimliche
Zigarette geraucht hat; wahrscheinlich ist sie geplagt von Schuldgefühlen und
in Angst um ihn im kargen Raucherbereich vor Ford und Vargas auf und
ab gegangen. Hat ihn dabei leise beschimpft, ihn gehasst, weil sie Angst um ihn
hatte. Der Geruch jener Zigarette erfüllt ihn mit Zärtlichkeit und

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