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Luther. Die Drohung

Luther. Die Drohung

Titel: Luther. Die Drohung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: N Cross
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Küchentür. Zögert. »Möchtest du, dass ich dich anrufe?
Dir erzähle, wie es läuft?«
    Sie antwortet nicht. Als er sich umdreht, um noch einmal zu fragen,
weint sie.
    Er versteht nicht. Er weiß nicht, wie er das Richtige sagen soll.
    »Schließ gut ab«, sagt er. »Schließ die Türen und Fenster ab.«
    Er geht hinaus. Er macht die Küchentür zu und geht weg und ist
verloren.
    Er denkt darüber nach, zu Reed zu fahren. Aber dann müsste er
vielleicht darüber reden. Und er will nicht darüber reden.
    Aber irgendwas muss er machen, irgendwohin muss er gehen. Also fährt
er los, um eine Tüte Pommes zu kaufen, und besucht Bill Tanner.
    Er hält die leicht nach Essig riechenden Pommes in dem durchweichten
Papier in der Hand, als Bill die Tür öffnet und ihm mit seinem Gebiss ein
breites, strahlendes Lächeln schenkt.
    Luther weiß, dass etwas nicht stimmt.
    Er geht hinein, zieht automatisch den Kopf ein.
    Sie essen die Pommes direkt aus der Tüte vom Resopaltisch. Bill
taucht seine Pommes in braune Soße aus einer Glasflasche. Um das Gewinde des Schraubverschlusses
herum kleben rotzähnliche Soßenklümpchen.
    Bill sagt: »Ich hab Sie im Fernsehen gesehen.«
    »Ach ja«, antwortet Luther. »Hab ich fett ausgesehen? Die Kamera
macht einen angeblich zehn Pfund fetter.«
    »Ist alles in Ordnung mit Ihnen, Junge?«
    Luther überlegt, dem alten Mann zu erzählen, wie wenig in Ordnung
alles ist. Stattdessen fragt er: »Haben Sie Kinder, Bill?«
    »Vier. Obwohl sie keine Kinder mehr sind.«
    »Enkel?«
    »Urenkel, Kumpel. Hunderte von kleinen Scheißern. Wie Kaulquappen.«
    Luther grinst. »Wo sind sie?«
    »Wer weiß? Wenn man so alt wird, dass selbst die Kinder in Heimen
sind, wird einem klar, dass niemand auf der Welt sich einen Dreck drum schert,
ob man lebt oder stirbt. Also bitteschön. Regel Nummer eins: nicht alt werden.«
    »Da besteht keine große Hoffnung.«
    »Ach. Das glauben wir alle.«
    »Ich könnte sie für Sie ausfindig machen«, sagt Luther. »Ihre Enkel.
Sie wissen lassen, was hier läuft.«
    »Mein ältester Enkel ist in Australien«, erzählt Bill. »Ging damals
als Klempner dorthin, Anfang der Neunziger. Damals haben sie Handwerker
händeringend gesucht. Er hat gefragt, ob ich mit will: ›Komm und wohn bei uns,
Opa.‹ Aber die gnäd’ge Frau wollte mich nicht dort haben. So was merkt man.«
    »Und die anderen?«
    »Ich könnte Ihnen nicht mal ihre Adressen nennen.«
    »Essen Sie Ihre Pommes«, sagt Luther. »Davon werden Sie groß und
stark.«
    Bill schaut hinunter auf seinen Körper. Seine Schultern beben.
    Luther fragt: »Bill? Ist alles okay, Kumpel?«
    Der alte Mann ballt nur immer wieder die verkrüppelten Fäuste.
    Luther geht ans Waschbecken, um sich das Pommesfett von den Fingern
zu waschen, trocknet sich die Hände an einem alten Geschirrtuch ab, ein
Souvenir von einem lange zurückliegenden Tagesausflug nach Blackpool. Dann
kniet er sich neben den alten Mann, klopft ihm auf den Rücken. »Na«, sagt er.
»Na. Na.«
    Als er aufgehört hat zu weinen, fragt Luther: »Kann ich Ihnen eine
Tasse Tee machen?«
    Bill schnieft, wischt sich mit der Hand die Nase ab. »Im Schrank
steht ein Whisky.«
    Luther holt die halbvolle Whiskyflasche hervor und gießt etwas davon
in ein trübes Glas. »Was ist denn passiert?«
    Bill ist kreidebleich im Gesicht. Er sieht erledigt aus. »Ich hätte
nie zu Ihren Leuten gehen sollen«, sagt er. »Sie meinen es gut. Aber erst
damit, dass ich zu den Bullen gegangen bin, hab ich mir das hier eingebrockt.«
    Luther sammelt die Pommes-Reste ein, schüttet sie in eine
Plastiktüte.
    Er dreht die Griffe der Tüte zusammen, knotet sie zu und stellt sie
in die Tür, um sie später in eine Mülltonne zu werfen.
    Der alte Mann schnieft.
    Luther starrt auf die Plastiktüte. Er ist so müde, dass er es nicht
mehr fertigbringt, einen Gedanken zu Ende zu führen.
    Dann fällt es ihm wie Schuppen von den Augen.
    Er fragt: »Bill – wo ist der Hund?«
     

20
    Um 20.47 Uhr holt Stephanie Dalton ihren Sohn Dan von
einem Theater-Abendkurs in einer Seitenstraße der Chiswick High Road ab.
    Dan ist fünfzehn und will Schauspieler werden. Steph und Marcus
wollen, dass er alles wird, nur das nicht, aber welche Art von Karriere können
sie sich heutzutage schon für ihn wünschen? Bankdirektor ist schließlich auch
in keiner Weise sicherer.
    Steph wollte immer Lehrerin werden, aber mit einundzwanzig fing sie
eher zufällig an zu modeln, erfreute sich einer mäßig erfolgreichen

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