Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
Sessel. Seltsam, er
glaubte deRossis Herzschlag zu hören. Gab es ein Problem? War die
Mission in Kalkutta etwa gescheitert? Doch als der Monsignore ihm
gegenüber Platz genommen hatte, war es, als hätte es den beschleunigten
Herzschlag seines Protegés niemals gegeben. Im Grunde, dachte der
Meister, ist er ebenso kalt wie Ciban, nur hat er sich für den richtigen Herrn entschieden. Er holte innerlich tief Luft, denn die Erinnerung an
jene herbe Enttäuschung, die Marc Ciban ihm bereitet hatte, stieg erneut in ihm auf, genau genommen hätte man sogar von Verrat sprechen
können. Der Präfekt war der Kirche verpflichtet, nicht etwa einem Papst, der jedweden Kontakt zur Realität verloren hatte.
»Die Mission ist ausgeführt«, sagte deRossi ruhig.
»Hat es – Probleme gegeben?«, hakte der Meister vorsichtig nach.
DeRossi blickte sich nach dem Hausdiener um. Da dieser weit und breit
nicht zu sehen war, erklärte er leise: »Nein, keinerlei Schwierigkeiten.
Aber der Leichnam ist verschwunden, und ich habe keine Ahnung,
wohin.«
Der Meister ließ sich sein Erstaunen nicht anmerken. »Sind Sie sicher?«
»Unser Agent im Erzbistum hat es mir kurz vor meinem Abflug
mitgeteilt.«
»Dann dürfte Monsignore Hawlett vor dem gleichen Rätsel stehen«,
sagte der Meister ruhig.
»Ich dachte, Sie hätten eine Erklärung dafür, Eminenz«, sagte deRossi
noch leiser und lehnte sich in seinem Sessel vor. »Bisher ist noch keiner der Toten verloren gegangen.«
Der Hausdiener kam auf sie zu und servierte frisches Weißbrot, Käse
und Wein. Als er sich zurückgezogen und die Tür zur Veranda
geschlossen hatte, erklärte der Meister: »Das muss Sie nicht weiter
beunruhigen, Nicola. Der Leichenhandel hat eine lange Tradition in
Kalkutta.«
»Aber eine katholische Missionarin?«
»Im Tod sind alle gleich. Ganz sicher hat einer der Bewohner der
Kolonie die Leiche heimlich verkauft. Kein Mensch außerhalb des
Viertels um Shanti Nagar wird wissen, wer die Frau wirklich war.
Lassen Sie uns jetzt das Essen genießen und dann über die Zukunft
reden.«
Sie aßen schweigend und ein jeder in seine Gedanken versunken.
Zwischendurch sah der Hausdiener nach dem Rechten und verschwand
dann wieder. Schließlich sagte der Meister, als sie die Mahlzeit beendet hatten: »Ihre nächste Mission wird eine echte Herausforderung, Nicola.«
DeRossi zuckte mit keiner Wimper, schien ganz er selbst zu sein. »Sie
werden mitten im Herzen der katholischen Kirche operieren.« Als
handelte es sich um ein uraltes Ritual, machte der Meister auf einem
Skizzenblock eine kurze Notiz, riss die oberen Blätter ab, um eine
Durchschrift zu verhindern, und reichte diese seinem treuen Protegé.
DeRossi blickte wie hypnotisiert auf das Blatt, denn es ging diesmal um
niemand Geringeren als die Leiterin des vatikanischen Internetbüros:
Schwester Thea. »Wann soll es geschehen?«, fragte er so leise, als
spräche er mit sich selbst.
»Innerhalb der nächsten sechsunddreißig Stunden. Sie haben völlig freie
Hand. Ich selbst werde morgen mit drei Kurienkardinälen bei einem
Essen mit Seiner Heiligkeit sein.«
Was der tiefere Sinn dieses Treffens mit dem Papst war, behielt der
Meister für sich. Tatsächlich hatte er selbst diese Zusammenkunft
initiiert, um so hinter das Geheimnis von Leos rätselhafter Gesundung
kommen zu können. Womöglich hatte dieser Benelli vor seinem Tod
noch an einigen Rädchen gedreht.
Außerdem galt es, Kardinal Ciban auf den Zahn zu fühlen. Noch immer
konnte der Meister es nicht fassen, dass ausgerechnet der Präfekt der
Glaubenskongregation sich auf die Seite des Papstes geschlagen hatte.
Was versprach der Mann sich bloß davon? Innozenz hatte Ciban
gefördert, als er dessen Potenzial erkannte, hatte ihn zum jüngsten
Mitglied des Kardinalskollegiums gemacht, um den konservativen
Machtblock zu stärken, und jetzt höhlte Ciban die konservativen Kräfte
aus. Das alles nur, weil der vatikanische Geheimdienst auf der
progressiven Seite ein paar eilfertige Maulhelden in Italien, Frankreich und Deutschland mundtot gemacht hatte. Ausgerechnet jetzt musste der
Präfekt sich als Moralapostel erweisen, als hätte er nicht selbst schon
unter Innozenz für den Geheimdienst gearbeitet, als wüsste er nicht,
worum es in diesem Feldzug wirklich ging.
Aber was noch weit interessanter für den Meister war: Ciban war sowohl
in das Geheimnis als auch in die laufenden Ermittlungen eingeweiht. Das
konnte
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