Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
drei Personen
eingeschränkt, doch bevor er nichts Konkretes wusste, hatte er Ben
keinen der Namen nennen wollen. Es war eine Sache, einen Verdacht zu
haben, jedoch eine ganz andere, diesen Verdacht laut auszusprechen und
dadurch vielleicht den Ruf eines Menschen zu ruinieren. Wie Ciban Ben
gegenüber jedoch versicherte, ermittelte er bereits seit geraumer Zeit
auch in diesen Richtungen.
Ben blickte auf eines der Fotos, die zuoberst lagen. Wie friedlich
Schwester Theas Antlitz darauf aussah. Ohne jeden Arg. Ohne jeden
Groll. Ohne jeden Schmerz. Die Aufnahme erinnerte Ben an die Bilder,
die Pater Raj von Schwester Silvia in der kleinen Kirche in Kalkutta
gemacht hatte. Wie konnte ein Tatortfoto nur einen solchen Frieden
ausstrahlen?
Plötzlich verließ Ciban den Besprechungstisch und ging zu seinem
Schreibtisch hinüber, zum Computer. Ben hatte das leise Piepen des
Rechners gar nicht gehört.
Der Präfekt blickte zu ihm hinüber, während er einige Tasten auf der
Tastatur anschlug. »Eine Nachricht von Ralf Porter vom BND!«
Ben ließ augenblicklich alles stehen und liegen und eilte zu Ciban
hinüber, um ebenfalls auf den großen Computerbildschirm zu schauen.
Ralf Porter fasste in seiner verschlüsselten Mail kurz und knapp
zusammen, was er bisher erreicht hatte. Inzwischen war der
verschwundene Mietwagen des Täters in einer Tiefgarage gefunden
worden, doch die dort sichergestellten DNA-Spuren hatten bisher zu
keinem Ergebnis geführt. Auch hatte Porter das schlechte
Überwachungsvideo der Münchner Mietwagenfirma noch einmal im
Labor untersuchen und davon Fotos erstellen lassen. Die Fahndung über
die Interpol-Datenbank hatte nichts ergeben, aber womöglich halfen die
Aufnahmen der vatikanischen Sicherheit bei ihren Ermittlungen dennoch
weiter.
Der Kardinal öffnete den kodierten Anhang, und es dauerte einen
Augenblick, bis die einzelnen, rekonstruierten Bilder sich auf dem
Schirm aufbauten. Als das Material vollständig auf dem Schirm
dargestellt wurde, hielten sowohl Ben als auch Ciban den Atem an. Auch
wenn die Bilder immer noch unscharf waren, so blickten sie dem Mörder
dennoch buchstäblich ins Gesicht.
Und sie erkannten ihn, trotz Brille und Baseballkappe. Vor allem Ben
war die Narbe über dem linken Auge nur allzu vertraut. DeRossi!
Für einem Moment starrten sie wie gelähmt und voller Unglauben auf
das Foto. Dann griff Ciban zum Telefon und setzte sich mit Coelho in
Verbindung. Sie durften keine Zeit verlieren.
75.
Monsignore deRossis Wohnung lag in Trastevere, einem historischen
Viertel mit malerischen Gassen im Südwesten Roms, nur einen kurzen
Fußmarsch vom Vatikan entfernt. Coelho stand mit zwei seiner
Vatikanpolizisten vor der Tür zu dem Appartement und klingelte. Es war
die einzige Wohnung auf dem Stockwerk, und sie hatte eine dieser alten,
klassischen Eingangstüren, die an sich schon eine antike Kostbarkeit
waren.
Der Kommandant klingelte ein zweites Mal. Doch niemand öffnete.
Er nahm ein Bündel mit Dietrichen hervor, öffnete das Türschloss
binnen weniger Sekunden und trat mit seinen Männern ein, die durch den
kleinen Flur eilten und Zimmer für Zimmer sicherten.
Es war tatsächlich niemand da. Nicht einmal eine Maus. Ob deRossi von
ihrem Herannahen Wind bekommen hatte? Oder ob er einfach nur durch
Rom streifte und bald wieder hier sein würde?
Während einer der Männer auf dem Gang Wache hielt, durchkämmten
sie jeden einzelnen Raum, ohne dabei eine Spur zu hinterlassen. Im
Wohnzimmer stieß Coelho auf eine kleine Bibliothek von vielleicht
zweihundert Bänden, allesamt Fach- und Sachliteratur, wissenschaftliche
Werke und Traktate sowie eine Reihe von Kunst- und Fotobildbänden.
Zu seinem Erstaunen befand sich darunter nur ein einziger Band
schöngeistiger Literatur, sah man von der Heiligen Schrift und einigen
alten Schullektüren einmal ab. Der Roman war von Roger Peyrefitte und
trug den Titel Die Schlüssel von St. Peter .
Im Schlafzimmer, im Bad, der Küche und im Flur war ebenso wie im
Wohnzimmer nichts Verdächtiges zu finden. Zu Coelhos größter
Verblüffung besaß deRossi keinen privaten Computer, ja nicht einmal
einen Laptop, den er vielleicht in einem der Schränke oder unter dem
Bett hätte deponiert haben können.
Zum Schluss durchsuchten sie, ebenfalls ohne Spuren zu hinterlassen,
noch den Müll, den Spülkasten über der Toilette und die winzige
Besenkammer. Coelho fand in den Schubladen oder unter
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