Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
sich sicher, weshalb wir Sie ausgerechnet
hierher eingeladen haben. Um es kurz zu machen, es gibt einen
besonderen Grund dafür. Kommen Sie, ich möchte Ihnen etwas zeigen.«
Sie folgte ihm die Wendeltreppe hinauf zur Galerie. Oben angekommen
gingen sie an mehreren Regalen vorbei, deren Kostbarkeiten sich hinter
Glas verbargen, bis der Papst stehen blieb und auf den Marmorfußboden
unter ihnen deutete.
»Ich weiß, dieser Auftritt wirkt ein wenig theatralisch, doch nur von hier oben können Sie es sehen und am besten aus dieser Position.«
Catherine folgte dem Blick des Papstes, und ihre Augen wurden groß.
Ihre Träume! Ihre Visionen! Die Apostelgeschichte war als Mosaik in
den Marmorboden der Bibliothek integriert! Das ganze rätselhafte
Geheimnis in zwölf wunderbaren Bildern.
»Diese Villa ist ein besonderer Ort«, erklärte der Heilige Vater. »Darius, Benelli und Thea haben sich des Öfteren hier aufgehalten. Kardinal
Monti hat von der Bedeutung dieses Ortes innerhalb der Villa nichts
gewusst. Auch Seine Eminenz Kardinal Ciban hat die tiefere Bedeutung
dieses Ortes erst nach seiner Einweihung in den geheimen Archiven des
Vatikans erfasst, wo das Originalevangelium nach Judas Ischariot
aufbewahrt wird.« Der Papst hielt einen Moment inne und zögerte, dann
sagte er: »Sarah, Kardinal Cibans Schwester, war eine Mediale.«
»Sarah war eine Apostelin?«
»Nicht direkt. Aber ihr Fall hat ein wenig dem Ihren geglichen,
Catherine.«
»Kardinal Benelli hat mir von ihrem tragischen Tod erzählt, der niemals
aufgeklärt wurde.«
»So ist es. Doch ich weiß auch, dass Seine Eminenz eine Spur verfolgt.«
»Nach all den Jahren?«
»Er wird nicht ruhen, bis er den Mörder seiner Schwester gefasst hat,
selbst wenn er dafür durch die Hölle gehen muss. Und das meine ich
wörtlich.« Der Papst blickte noch einmal auf die in den Marmorboden
eingelassene Apostelgeschichte, dann wandte er sich Catherine zu. » Sie sind in den letzten Tagen für mich durch die Hölle gegangen, und ich
weiß nicht annähernd, wie ich Ihnen dafür danken kann.«
»Danken Sie Kardinal Benelli, Heiligkeit. Nicht mir. Bis zur
Konfrontation in der Sixtina habe ich seinen Plan nicht im Geringsten
durchschaut.«
Das stimmte. Erst in den frühen Morgenstunden war Catherine die wahre
Bedeutung der Kapelle in diesem Kampf gänzlich bewusst geworden.
Die Sixtina war nicht nur ihr Lieblingsort im Vatikan, sondern auch ein
Ort von solch medialer Kraft, dass selbst nichtmediale Menschen diese
Ausstrahlung spüren konnten. In der Sixtina wurden die Päpste gewählt,
im Angesicht von Michelangelos Fresko vom Jüngsten Gericht. Nur hier
erneuerte der gewählte Heilige Vater auf spirituellem Weg den
zweitausend Jahre alten Eid mit den Aposteln. Doch jene unglaubliche
Energie, die zwischen all den farbenprächtigen Kunstwerken permanent
die Atmosphäre auflud, konnte sich auch gegen einen wenden. Genau
dafür hatte Benelli mit Catherines Hilfe im Falle Kardinal Montis
gesorgt. Die Magie der Sixtina hatte Monti am Ende binnen weniger
Augenblicke regelrecht ausgebrannt. Er lebte zwar noch, war aber kaum
mehr als ein menschliches Wrack.
»Ihre Bescheidenheit ehrt Sie, Schwester, doch ohne Ihren Beistand
wären wir völlig machtlos gewesen.«
»Erinnern Sie sich an Benellis Brief, Heiligkeit?« Sie meinte jenen Brief, den der Kardinal für sie im ›Turm der Winde‹ gemeinsam mit dem
Judas-Evangelium hinterlegt hatte.
»Ja. Ich erinnere mich an jede einzelne Zeile.«
»Kardinal Benelli hätte diesen Brief wahrscheinlich nie an mich
geschrieben, hätte Pater Darius ihn nicht im Hinblick auf meine Gabe
eingeweiht.«
Leo nickte nachdenklich. »Benelli hat in der Krise Ihr Potenzial
erkannt.«
Catherine griff in die Innentasche ihres Ordensgewandes und reichte ihm
die alte Fotografie, die Monti ihr überlassen hatte.
Der Papst betrachtete das Bild sichtlich bewegt. Dann sagte er: »Darius
hat Sie wirklich wie eine leibliche Tochter geliebt. Doch weder er noch
Benelli kann von Ihnen verlangen, dass Sie aufgrund Ihrer
herausragenden Gabe das Erbe eines Apostels antreten. Dazu haben nicht
einmal die beiden ein Recht. Monti ist außer Gefecht gesetzt, es wird
also keine weiteren Apostelmorde geben, und damit sind Sie von jeder
weiteren Pflicht mir gegenüber befreit.«
»Ich danke Ihnen, Heiligkeit. Doch was, wenn es keine Pflicht ist,
sondern ein Geschenk?«
»Ein Geschenk?«
»Sie wissen, alles, wofür ich
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