Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
Vorsichtig drehte sie ihn
um und untersuchte die Bauchwunde. Ben war halb bei Bewusstsein und
schien sie sogar zu erkennen. Wie durch ein Wunder war die Blutung
tatsächlich gestillt worden.
Dann geschah, womit sie eigentlich nicht mehr gerechnet hatte. DeRossi
hatte sich von seinem Schock erholt und brüllte ihr hasserfüllt zu: »Was hast du mit ihm gemacht, du Teufelin!« Er nagelte sie förmlich mit
seinem Blick fest, stand auf, kam auf sie zu und riss sie am Arm hoch,
um seinen Auftrag nun endgültig auszuführen.
Catherine verzog vor Schmerz das Gesicht und blickte sich nach den
Aposteln um, doch außer Ben, ihr und deRossi war niemand mehr da.
Also holte sie mit dem rechten Fuß aus und trat dem Monsignore mit
voller Wucht in den Schritt.
DeRossi sackte kreidebleich zusammen und griff sich mit beiden Händen
an den Unterleib. Er schnappte nach Luft, als stünde die Kapelle ein
zweites Mal in himmlischen Flammen. Jeder Atemzug tat ihm weh.
Catherine nutzte die Sekunden, die ihr blieben, um zu Ben zu rennen und
nach dessen Waffe zu suchen. Doch sie wäre auf der Blutlache fast
ausgerutscht und fand auch die Pistole nicht. Dann stand deRossi
plötzlich über ihr, mit unheilvoller Zornesröte im Gesicht.
»Ich schätze, jetzt ist es an der Zeit, dass du gehst.«
Er packte sie am Hals, zog sie wie eine Halbwüchsige zu sich hoch und
wollte gerade ausholen, um ihr das Genick zu brechen, als sein Kopf mit
leerem Blick zur Seite schnellte und er wie eine haltlose Marionette
zusammenbrach. Ciban hatte deRossi mit einem Hieb gegen die Schläfe
außer Gefecht gesetzt.
Catherines Knie knickten ein. Der Präfekt griff nach ihr, fing sie auf,
bevor sie zu Boden glitt. Er hielt sie ganz fest und drückte sie an sich.
»Keine Angst. Ich lasse Sie nicht los.«
84.
Das Unwetter hatte sich die Nacht über und fast den ganzen
darauffolgenden Tag über Rom gehalten. In den Morgenstunden waren
regelrechte Sturmböen über die Stadt gepeitscht und hatten die Wasser
des Tibers anschwellen lassen. Catherine saß im Fond einer schwarzen
Vatikan-Limousine und war mit Pater Rinaldo auf dem Weg zu Benellis
Villa. Der Regen prasselte gegen die Scheiben, strömte in eiligen Bächen das Glas hinunter und verdunkelte die Welt.
Eine Stunde zuvor hatte sie Ben in der Gemelli-Klinik besucht. Noch
war er nicht aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht. Wie sie jedoch von den Ärzten erfahren hatte, verheilte seine Wunde nach der Operation
erstaunlich gut und schnell. So gut und schnell, dass die Mediziner vor
einem Rätsel standen, einem Mysterium, das Catherine ganz gewiss
nicht gedachte aufzuklären. Schließlich hatte sie Ben einen Kuss auf die Stirn gegeben und sich mit Rinaldo auf den Weg zum vereinbarten
Treffen mit Seiner Heiligkeit und Ciban gemacht.
Während Rinaldo den Wagen nun durch das Waldgebiet steuerte, das
über einen langen Hügel hinauf zur Villa führte, gingen Catherine noch
einmal die Ereignisse der letzten Nacht durch den Kopf. Dabei mochte
sie lieber nicht daran denken, was wohl geschehen wäre, wenn Benellis
Plan am Ende gescheitert wäre. Ben und sie wären dann vermutlich tot,
und Seine Heiligkeit wäre eine willfährige Marionette Sergio Kardinal
Montis. Sie konnte es noch immer nicht fassen, dass ausgerechnet der
alte Monti hinter alldem gesteckt hatte.
Soweit sie wusste, hatte man Monti – von dem kaum mehr
übriggeblieben war als ein bedauernswertes Häuflein Schwachsinn –
noch in der Nacht aus dem Vatikan entfernt und in ein deutsches Kloster
bei Köln gebracht, das eher eine psychiatrische Klinik für katholische
Priester war als ein Ort der Kontemplation. Ein Ort für die
allerschwersten Fälle. Offiziell hatte Monti einen altersbedingten
Hirnschlag erlitten und wurde nun ärztlich bestmöglich versorgt.
Auch deRossi hatte den Vatikan letzte Nacht im Gewahrsam der
Vigilanza verlassen. Wohin der Monsignore gebracht worden war,
wusste Catherine nicht. Weder Ciban noch Coelho, der Kommandant,
hatten darüber auch nur ein einziges Wort verloren.
Am meisten jedoch hatte sie, seit ihrem Erwachen aus einem unruhigen
Schlaf, über Darius und ihre Pflegemutter nachgedacht. Sie konnte es
noch immer nicht fassen, dass der Pater all die Jahre über ihre Herkunft geschwiegen hatte und dass sie niemals bemerkt hatte, dass ihre Mutter
gar nicht ihre Mutter war.
Zumindest in einem Punkt hatte Monti Recht behalten: Die Menschen
sahen nur das, was sie sehen wollten.
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