Lux Domini - Thomas, A: Lux Domini
den Fund an. Natürlich konnte er die Sprache, in der die
uralten Worte verfasst waren, nicht verstehen. »Ich habe keine Ahnung,
Eminenz. Aber wenn ich mir die Qumran-Funde in Erinnerung rufe,
würde ich sagen, irgendwo aus dem ersten bis dritten Jahrhundert nach
Christus.«
»Gar nicht mal schlecht, Marc«, sagte Monti im Plauderton. »Tatsächlich
hat eine C-Vierzehn-Analyse ergeben, dass diese Rollen aus dem ersten
Jahrhundert nach Christus stammen. Ein Beduinenhirte hat sie im achten
Jahrhundert in einer der Höhlen des Toten Meeres gefunden. Diese
Rollen haben jedoch nicht das Geringste mit den Qumran-Funden zu
tun.« Monti holte den schwarzen Lederband aus dem Schrank und legte
ihn auf den freien Platz neben den Schriftrollen. »Tatsächlich gehörten
diese Texte ins Neue Testament.« Er trat beiseite, damit Ciban das Buch
selbst begutachten und öffnen konnte. Der Lederband beinhaltete die
Übersetzung in Latein.
Der greise Kardinal beobachtete, wie sein Kollege beim Anblick des
Titels fragend eine Augenbraue hob. Das Buch der Taten ? Natürlich kannte Ciban die Apostelgeschichte des Lukas. Enthielten diese
Schriftrollen etwa das Original? Er schlug die erste Seite auf, dann die zweite, blätterte weiter, während Monti auf einem nahen Stuhl Platz
nahm und schwieg. Die Zeit verlor ihre Bedeutung. Ciban las und las
und blickte nicht ein einziges Mal von den Seiten auf. Als er sein
Studium fürs Erste beendet hatte, hielt er den Blick gesenkt, als
konzentriere er sich auf irgendetwas, das zwischen den Zeilen stand. Als er schließlich zu Monti hinübersah, war sein Gesicht ausdruckslos.
Der alte Präfekt erhob sich von seinem Stuhl und kam langsam zum
Lesetisch zurück. Nur zu gut erinnerte er sich, wie er sich selbst bei der Einweihung gefühlt hatte. Von einer Stunde zur nächsten war ein
Großteil seines christlichen Weltbilds gekippt.
Ciban schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, Eminenz, aber das glaube ich
nicht. Das ist nichts weiter als ein übler Scherz.«
Noch ehe Monti etwas entgegnen konnte, erklärte eine leise und
gelassene Stimme vom Eingang her: »Es ist kein Scherz, Marc. Und ein
übler Scherz ist es schon gar nicht.«
Beide Kardinäle drehten die Köpfe. Seine Heiligkeit Papst Leo hatte den
halbdunklen Raum betreten und kam nun langsam auf sie zu.
»Aber ich verstehe Ihren Zweifel in diesem Moment«, fuhr Leo fort.
»Ich wollte es selbst nicht glauben.«
Der Papst zog den päpstlichen Siegelring vom Finger und legte diesen zu
den Rollen und dem Buch auf den Tisch. Neben dem Namen des
amtierenden Papstes und dem Fisch war auch der Apostel Petrus darauf abgebildet, der erste Papst.
»Du bist Petrus, und auf diesen Fels will ich meine Kirche bauen«, stand rundherum in lateinischen Lettern in der Kuppel des Petersdoms.
Bis Mitte des neunzehnten Jahrhunderts war der Fischerring zur
Besiegelung päpstlicher Schreiben verwendet worden. Leos Vorgänger
Innozenz hatte diese traditionsreiche Verwendung während seines
Pontifikats wieder eingeführt. Der Ring wurde dem neuen Papst nach
dem Konklave überreicht und nach dessen Tod vor den Augen der
anwesenden Kardinäle vom Kardinalkämmerer mit einem Silberhammer zerschlagen. Zuvor hatte der Kardinalkämmerer noch die päpstlichen
Gemächer aufgesucht und dort den Schrank mit den Geheimdokumenten
versiegelt, die niemand außer dem neuen Kirchenoberhaupt lesen durfte.
Jeder Papst erhielt seinen eigenen Ring, sein eigenes Siegel, denn damit war ausgeschlossen, dass während der Sedisvakanz jemand die geheimen Dokumente öffnete und erneut versiegelte oder gar nachträglich
Veröffentlichungen im Namen des toten Papstes in Umlauf kamen.
Seit seiner Einweihung durch Papst Innozenz wusste Monti, dass dieser
Ring für etwas noch viel Größeres stand.
»Wie kann ich Ihren Zweifel zerstreuen?«, fragte Leo.
Ciban kam sofort zur Sache. »Indem Sie mir die Namen aller
Eingeweihten mitteilen, Heiligkeit.«
Monti musste ein hysterisches Lachen unterdrücken. Gewiss doch, so
hätte Ciban gleich allen auf einmal den Prozess machen können, Leo,
ihm und Leos Kongregation. Tatsächlich war Montis Reaktion bei seiner
eigenen Einweihung eine ganz ähnliche gewesen.
Leo schüttelte den Kopf und sagte: »Sie stehen vor den Originaltexten
der wahren Apostelgeschichte. Sie haben die Zeilen gelesen und wissen
nun, dass ich Ihnen die Namen nicht nennen kann.«
Ciban stand da wie aus Stein und entgegnete nichts. Dafür
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