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Lux perpetua

Titel: Lux perpetua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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weiter?«
    »Gott hat Euch zu uns gesandt. Wir brauchen einen Medicus für einen Kranken. Die Angelegenheit duldet keinen Aufschub. Ihr
     kommt mit uns. Ich bitte Euch. Ich bitte Euch sehr höflich darum.«
    Die höfliche Bitte begleiteten böse Blicke, zusammengepresste Lippen und malmende Kiefer. Und die Hand am Schwertgriff. Reynevan
     sah ein, dass er der Bitte besser Folge leisten sollte.
    »Vielleicht sollte ich aber erst einmal erfahren, mit wem ich es zu tun habe? Wohin soll ich reiten? Wer ist der Kranke? Und
     was fehlt ihm?«
    »Ihr habt nicht weit zu reiten«, beschied ihn der Hussit mit den buschigen Brauen, der offensichtlich der Anführer des Trupps
     war. »Mein Name ist Jan Pluh. Unterhauptmann der Feldtruppen der Waisen von Nachod. Alles Übrige werdet Ihr bald erfahren.«
     
    Reynevan war keineswegs erfreut darüber, dass er, statt dem Pass von Mittelwalde zuzustreben, nun in genau entgegengesetzter
     Richtung am rechten Ufer der March nach Süden reiten musste. Zum Glück hatte Jan Pluh nicht gelogen, bis zum Ziel war es in
     der Tat nicht weit. Alsbald erblickten sie denn auch in einem nebelbedeckten Tal ein großes Heerlager, das typisch war für
     auf dem Marsch befindliche Hussiten: Die Wagen waren auf ganz besondere Art angeordnet, ebenso die Zelte, Hütten, Schuppen
     und anderen malerisch aussehenden Buden. Über dem Lager flatterte die Standarte der Waisen im Wind, die eine von einem Strahlenkranz
     umgebene Hostie und einen sich mit dem Schnabel die eigene Brust zerhackenden Pelikan zeigte. Am Rand des Lagers türmte sich
     ein riesiger Haufen Knochen und anderer Abfälle, unweit davon, an einem in die March mündenden Bach, wuschen mehrere Frauen
     Wäsche, eine Horde von Kindern warf Steine ins Wasser und balgte sich mit den Hunden. Als sie vorüberritten, folgten ihnen
     die Blicke der Frauen, die sich aufrichteten und sich mit seifig glänzenden Händen die Stirn wischten. Zwischen den Wagen
     krochen Rauch und Gestank herum, Kühe brüllten kläglich in ihren Verschlägen. Es schneite leicht.
    »Hier entlang. In diese Hütte.«
    Vor der Hütte, damit beschäftigt, einen Kübel Schmutzwasser auszugießen, stand ein dünner, blässlicher Jüngling. Er machte
     ein derart trostlos-jämmerliches Gesicht, dass er für eine Messbuchillustration, Kapitel Hiob, hätte Modell stehen können.
    »Ihr habt einen gefunden!«, rief er nun voller Hoffnung. »Ihr habt einen Medicus gefunden! Das ist ein Wunder, dem Allerhöchsten
     sei Dank dafür! Sitzt ab, Herr, so rasch wie möglich!«
    »So dringend werde ich gebraucht?«
    »Unser Hauptmann
. . .
«, der dünne Jüngling stellte den Zuber hin, »unser Erster Hetman ist erkrankt. Und wir haben keinen Bader
. . .
«
    »Ihr hattet doch einen«, Reynevan erinnerte sich, »Bruder Albertus hieß er. Ein recht geschickter Medicus
. . .
«
    »Das war er«, stimmte Unterhauptmann Jan Pluh mit finsterer Miene zu. »Aber als wir vor kurzem ein paar papistische Gefangene
     verbrannt haben, hat er protestiert, hat geschrien, pfui!, das sei nicht christlich, das sollte man nicht tun
. . .
Da hat ihn der Hauptmann gepackt und mit dem Beidhänder gestreichelt
. . .
«
    »Und mich haben sie gleich nach seinem Begräbnis zum Feldscher gemacht«, klagte der dünne Jüngling. »Sie sagten, ich sei gelehrt,
     da käme ich schon zurecht. Aber ich kenne mich nur mit Schriften aus, beim Apotheker in Chrudim hab’ ich Etiketten beschriftet
     und auf die Fläschchen geklebt
. . .
Vom Heilen habe ich keinen blassen Dunst
. . .
Ich sag’ ihnen das, aber die beharren darauf, du bist schließlich gelehrt, dann schaffst du das schon, Medizin ist keine große
     Kunst: Wer in den Himmel soll, dem hilft auch der Herrgott nicht mehr, und wer am Leben bleiben soll, den kann auch der schlechteste
     Arzt nicht verderben
. . .
«
    »Aber als dann die Krankheit den Hetman selbst ergriffen hat«, warf ein anderer von den Waisen ein, »da hat er befohlen, zu
     reiten, was die Pferde hergeben, und einen besseren Medicus zu suchen. In der Tat, ’s Herrgöttl ist mit uns, weil wir Euch
     so schnell gefunden haben. Der Hetman leidet schrecklich. Ihr werdet es selbst sehen.«
    Reynevan roch es, bevor er es sah. Unter der niedrigen Hüttendecke hing ein so grauenhafter Gestank, dass es einen fast von
     den Füßen riss. Der auf einer grob aus Brettern gezimmerten Pritsche liegende beleibte Mann hatte ein mit Schweißbächen bedecktes
     Gesicht. Reynevan kannte dieses Gesicht, er hatte es

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