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Lux perpetua

Titel: Lux perpetua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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sehr. Jetzt kannst du ihm auch helfen. Wenn der Verband von der
     Wunde entfernt wird, muss ein Brei aus Leinsamen aufgetragen werden. Wir haben Frühling, aber in den Tümpeln müssten schon
     Wasserlinsen sein. Bereite Umschläge mit ausgedrücktem Saft daraus. Immer im Wechsel, einmal Brei, einmal Wasserlinsen.«
    »Gut, Junker Reynevan.«
    »Du kennst mich?«
    »Ich habe von Euch reden hören. Die Frauen haben über Euch gesprochen.«
    »Über mich?«
    »Vor zwei Jahren.« Elisabeth Donotek wandte den Blick ab, aber nur für einen kurzen Moment. »Während des Zuges nach Schlesien.
     In der Stadt Goldberg. In der Pfarrkirche.«
    »So?«
    »Ihr habt nicht zugelassen, dass den Freunden der Gottesgebärerin ein Leid geschieht.«
    »Ach, die Sache
. . .
«, wunderte er sich. »Hat sich das so sehr herumgesprochen?«
    Sie blickte ihn lange an. Schweigend.
    »Dieses Geschehen«, sagte sie schließlich, jedes Wort langsam aussprechend, »ist geschehen. Und nur das ist wichtig.«
     
    Donotek, Elisabeth Donotek, wiederholte er in Gedanken, während er im Galopp nach Norden ritt, wieder in Richtung Hanuˇsovice.
     Da hatte er doch von etwas reden hören, fiel ihm ein. Gerüchte waren im Umlauf. Von einer Frau, die großes Ansehen unter den
     Frauen genoss, die mit den Waisen mitzogen, einer Anführerin, auf deren Wort sogar mancher Hussitenhauptmann hörte. Es gab
     den Gerüchten zufolge auch ein Geheimnis, es gab Liebe und Tod, die große Liebe zu jemandem, der gefallen war. Zu jemandem,
     den niemand je ersetzen konnte, der nur eine ewig währende Leere, ewige Trauer und ewiges Unerfülltsein zurückgelassen hatte.
     Eine Geschichte wie der Imagination eines Chrétien de Troyes entsprungen, dachte er, wie der Feder Wolframs von Eschenbach
     entflossen. Etwas, was gar nicht zu dem bäuerlichen Aussehen seiner Heldin passen wollte. Überhaupt nicht passte. Und gerade
     deshalb wahrscheinlich wahr war.
    Von der Schneekoppe her blies ihm der Wind ins Gesicht und linderte die Scham, die er empfand, seit sie von den Ereignissen
     in der Kirche in Goldberg gesprochen hatte, von der Madonna. Von der Holzskulptur, die zu verteidigen er zwar unternommen
     hatte, aber nicht seinem eigenen Impuls, sondern nur dem Beispiel Samson Honigs folgend. Und er hatte dafür wahrhaftig kein
     Lob verdient. Auch keine Anerkennung durch eine Frau wie Elisabeth Donotek.
    Hinter Hanušovice machte der Weg eine Biegung und führte nach Westen. Alles stimmte. Vom Pass von Mittelwalde trennte ihn
     schätzungsweise etwas mehr als eine Meile, er hoffte, vor Einbruch der Nacht dort zu sein. Er trieb sein Pferd an.
    Kurz vor Sonnenuntergang erwischten sie ihn.
     
    Sie, eine Gruppe von zehn Reitern, erwischten ihn, umringten ihn, zogen ihn vom Pferd und fesselten ihn. Da half kein Sträuben.
     Sie sprachen kein Wort, und als er nicht aufhörte zu protestieren und Erklärungen verlangte, brachten sie ihn mit Faustschlägen
     zum Schweigen. Sie schleppten ihn zurück ins Lager der Waisen. Gefesselt warfen sie ihn in einen leeren Schweinestall, in
     der Nacht wäre er vor Kälte fast erfroren. Auf sein Rufen reagierten sie nicht. Am Morgen holten sie ihn heraus, steif gefroren
     führten sie ihn, ohne dabei mit Stößen und Tritten zu sparen, zum Hauptquartier des Hetmans. Dort wartete Jan Pluh mit einigen
     anderen Anführern der Waisen, die er kannte.
    Es war das geschehen, was Reynevan vorhergesehen hatte. Wovor er sich gefürchtet hatte.
    Drinnen auf der Pritsche, fast noch so wie er ihn nach der Operation und dem Verbinden verlassen hatte, ruhte Smil Půlpán.
     Nur, dass er jetzt starr war. Durch und durch starr und tot. Sein Gesicht, weiß wie Quark, verunstalteten die fast aus den
     Höhlen getretenen Augen. Und eine Grimasse um den Mund, der zu einem noch gespenstischeren Lächeln verzogen war.
    »Und was sagst du dazu, Medicus?«, fragte Jan Pluh krächzend und böse. »Wie erklärst du uns diese Medizin? Kannst du uns das
     erklären?«
    Reynevan schluckte, schüttelte den Kopf und breitete die Arme aus. Er wollte sich der Pritsche nähern und die Decke herunterziehen,
     die den Leichnam bedeckte, aber die eisernen Fäuste der Hundertschaftsführer bannten ihn an seinen Platz.
    »Nein, Brüderchen! Du willst die Spuren deines Verbrechens beseitigen, aber das lassen wir nicht zu. Du hast ihn umgebracht,
     dafür wirst du bezahlen.«
    »Was ist denn in euch gefahren?« Er versuchte, sich loszureißen. »Seid ihr verrückt geworden? Was denn für

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