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Lux perpetua

Titel: Lux perpetua Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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die Finger. Auf jedem Fingernagel erschien plötzlich ein dünnes, bläuliches
     Flammenzünglein, das blitzschnell wuchs und seine Farbe veränderte, zuerst rot und dann weiß wurde. Auf eine leichte Bewegung
     der Finger hin loderte eine Flamme mit immenser Macht auf und umschloss die Hände des Mauerläufers mit einem festen Feuerball.
     Der Mauerläufer ließ den Feuerball von einer Hand in die andere wandern, und auf einen Wink hin begann das Feuer den Rand
     des mit Schnitzereien verzierten Tisches zu lecken. Wie ein funkelnder Vorhang erhob es sich, stieg tanzend empor und erreichte
     fast die mit Ornamenten versehenen Sturzbalken der Decke.
    Der Faktor regte sich nicht. Er zwinkerte nicht einmal.
    »Das Feuer der Strafe«, sagte der Mauerläufer langsam und deutlich. »Feuer auf den Dächern der Häuser. Feuer in den Lagerräumen.
     Das Feuer des Scheiterhaufens. Das Höllenfeuer. Das Feuer der schwarzen Magie. Der gewaltigsten Macht, die existiert.«
    Er nahm die Hände wieder herunter und schnippte mit den Fingern. Das Feuer verschwand. Sang- und klanglos. Ohnedie geringste Spur zu hinterlassen. Nirgendwo auch nur das kleinste Stäubchen Ruß.
    Der Faktor des Handelshauses der Fugger griff langsam in die Schublade des Kontortisches und nahm dort etwas heraus; als er
     die Hand wieder wegzog, blieb ein goldenes Geldstück auf dem Tisch zurück.
    »Das ist ein
fiorino d’oro «
, sagte der Faktor der Fugger-Gesellschaft langsam. »Ein Florenus oder Florin, auch Gulden genannt. Mit einem Durchmesser
     von etwa einem Zoll, dem Gewicht von einem Viertel-Łut, vierundzwanzig Karat reinsten Goldes, auf dem Avers die Lilie von
     Florenz, auf dem Revers den heilige Johannes den Täufer. Schließt doch einmal die Augen, Herr von Grellenort, und stellt Euch
     mehr von diesen Münzen vor. Nicht hundert, nicht tausend und nicht hunderttausend. Sondern tausendmal tausend. Ein
milione
, wie die Florentiner zu sagen pflegen. Der Jahresumsatz unseres Handelshauses. Stellt Euch das einmal vor, versucht Euch
     dies kraft Eurer Imagination vorzustellen und es mit den Augen der Seele zu sehen. Dann seht und nehmt Ihr eine wirkliche
     Macht wahr. Eine reale Kraft. Die gewaltigste, die es gibt, allmächtig und unbesiegbar. Meine Verehrung, Herr von Grellenort.
     Ihr kennt den Weg nach draußen, nicht wahr?«
     
    Obwohl sich die Frühlingssonne redlich bemühte, ihre Strahlen durch das schmale Fensterchen der St.-Elisabeth-Kirche zu senden,
     lag das Seitenschiff des Gotteshauses im Dunkeln. Grajcarek konnte die Person nicht sehen, mit der er sprach, selbst ihre
     Konturen verschwammen vor seinen Augen. Er witterte nur ihren Duft, ein schwaches, aber eindeutiges Aroma aus Rosmarin.
    »Grellenort hat nicht viel ausrichten können«, berichtete er dienstbeflissen. »In der Stadt heißt es, dass er sich umsonst
     bemüht, dass er Reinmar von Bielau nicht zu fassen kriegt, weil der schon längst über alle sieben Berge ist. Nachdem man ihn
     aus dem Kontor der Fugger hinauskomplimentiert hatte,schäumte Grellenort vor Wut. Mit dem Bischof hat er sich dann arg gestritten. Dieser hat ihm verboten, zu den Dominikanern
     zu gehen und das Heilige Officium zu belästigen, aber Grellenort hat nicht auf ihn gehört. Das ist das, was ich weiß.« Die
     nur undeutlich wahrzunehmende Gestalt regte sich nicht.
    »Wir sind dir sehr dankbar«, sagte sie mit einer weichen, verführerisch klingenden Altstimme. »Sehr dankbar. Dies kleine Säckchen
     soll, eher symbolisch, ausdrücken, wie sehr.«
    Silber klirrte. Der Spion verbeugte sich tief und stopfte das Säckchen in seine Rocktasche. Mit Mühe, denn es war keineswegs
     klein. Aber nach zweimonatiger Spionagetätigkeit hatte sich Grajcarek schon an die merkwürdige Ausdrucksweise der Frau mit
     der Altstimme gewöhnt.
    »Stets zu Diensten«, versicherte er ihr und verbeugte sich. »Wenn es etwas Neues geben sollte
. . .
Beim Bischof, meine ich
. . .
Wenn irgendwelche Informationen
. . .
Ich werde es Euer Gnaden sofort melden.«
    »Und du kannst auch immer mit einer ähnlichen Dankbarkeit rechnen wie heute. Wo wir schon mal bei Informationen und Meldungen
     sind, ist dir der Name Apolda nicht schon einmal irgendwann zu Ohren gekommen? Jutta de Apolda? Ein Mädchen, das von der Inquisition
     gefangen gehalten wird?«
    »Nein, Herrin, davon weiß ich nichts. Aber wenn Ihr wollt, kann ich versuchen
. . .
«
    »Das wollen wir. Und nun geh in Frieden.«
    Die Frau mit der Altstimme und dem

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