Luzie & Leander - 04 - Verblüffend stürmisch
ich schwanger bin! Ich hab auch nichts gemacht! Gar nix!«
»Aber dieser Serdan …«, wandte Mama zweifelnd ein.
»Serdan ist mein Kumpel, sonst nichts! Kapier das endlich!«
Leander hörte auf zu pfeifen und brummelte irgendetwas Französisches in sich hinein. Es klang nicht sehr freundlich.
»Und Seppo?«, vergewisserte Mama sich.
»Seppo auch! Ich mache nur Parkour mit den Jungs. Und ich dachte, dass du Parkour meinst. Das war ein Missverständnis!« Redete ich hier gegen eine Wand? Mama kniff ihre flamingorot geschminkten Lippen zusammen. Okay, ich redete gegen eine Wand.
»Wo wir auch schon beim anderen Thema wären«, erwiderte sie leidend. »Diese schreckliche Sportart. Erklär mir das, Luzie. Was ist so toll daran, sich ständig in Lebensgefahr zu begeben? Macht es Spaß, sich beinahe umzubringen?«
»Wir tun das nicht, um uns umzubringen«, sagte ich zum circa hundertsten Mal. »Es ist toll, diese Runs zu trainieren und durchzuziehen, es fühlt sich an wie Fliegen, es ist so schwungvoll und geschmeidig und …« Ich suchte nach Worten. Verdammt, wie sollte ich es nur beschreiben, damit sie es endlich einsah? »Ich hab dir doch die Videos auf YouTube gezeigt. Findest du nicht, dass das cool aussieht?«
Mama schwieg eine Weile und fächerte sich mit ihrer Cosmopolitan heiße Luft zu.
»Du magst Daniel Craig, oder?«, brach ich die Stille. Mögen war untertrieben. Mama vergötterte ihn. Sie hätte ihn auf der Stelle gegen Papa eingetauscht. Seine James Bond- Streifenhatte sie sich unzählige Male angesehen, vor allem diese eine Szene unter der Dusche. Wo er die Finger von seiner Tussi in den Mund nimmt, um sie zu trösten. Ich fand die Szene peinlich. Aber Mama schmolz jedes Mal dahin und danach herrschte Taschentücheralarm.
»Hmhmhm«, machte Mama mit spitzen Lippen. Ihre Augen leuchteten.
»Gut. Dann erinnere dich mal an den Auftakt von Casino Royal. Diese Stunts auf dem Gerüst. Das ist Parkour, was er da macht! Parkour! Und nichts anderes! Findest du toll, oder? Du findest es toll, Mama, gib’s zu!« Daniel Craig hatte sich in dieser Szene zwar nicht mit Ruhm bekleckert. Der wahre Held war Sébastien Foucan gewesen, den Seppo, Serdan, Billy und ich zutiefst verehrten. Aber das war Mama sicherlich gar nicht erst aufgefallen.
»Herrgott, Luzie, natürlich ist es toll, wenn Daniel Craig das macht, aber das ist ein Film! Keine Wirklichkeit! Wenn meine kleine Tochter über Dächer rennt und abstürzt, dann …« Ihre Stimme brach mit einem blechernen Kratzen. Ich suchte resigniert nach Taschentüchern. Sie würde es nie verstehen. Und wenn sie heulte, konnte man sowieso nicht vernünftig mit ihr diskutieren.
Ich zog mich trotz sengender Hitze mit einer Flasche Wasser auf das Wagendach zurück, kippte mir den Schirm meiner Baseballkappe ins Gesicht und blieb dort oben liegen, bis wir bei Einbruch der Dunkelheit endlich unseren Zielbauernhof erreicht hatten. Ein schwüler Wind streifte durch die Bäume und über den grünen Hügeln vor uns bauten sich schwarze Gewitterwolken auf.
Wir waren so müde, dass wir nur stumm das Pferd abschirrten, es auf die Weide stellten und im Gleichschritt zu den Bauern schlurften, die bereits mit dem Abendessen auf uns warteten: duftende Flammkuchen mit Speck und Zwiebeln und eine große Kanne Cidre.
Leander überflog die Speisen skeptisch mit den Augen, zog die Nase kraus und nickte mir dann zu. »Alles essbar. Bitte bring mir was mit, ich bin ausgehungert«, bat er mich, als er an mir vorüber nach draußen ging. Das schlechte Gewissen schoss wie ein Stich in meinen Magen. Ja, es war für Leander schwierig geworden, sich zu ernähren. Frühstück und Mittagessen hatte er ausfallen lassen müssen, da am und auch unter unserem kleinen Campingtisch kein Platz für ihn war und durch die Luft schwebende Baguettes Mama und Papa unter Garantie misstrauisch gestimmt hätten.
Das ältere Bauernehepaar war trotz unserer Verspätung sehr freundlich und mein Französisch reichte sogar aus, mich mit ihnen zu unterhalten, doch sie waren sichtlich müde und zeigten uns nach dem Essen nur noch schnell ihr Gästebad, bevor sie sich in ihre Betten zurückzogen.
Endlich fließendes Wasser! Ich ließ Mama und Papa den Vortritt, denn Leander lungerte wie ein zweiter Schatten in meinem Rücken, seitdem das Wort »douche« gefallen war.
»Vergiss es«, sagte ich entschieden, als hinter der geschlossenen Tür das Wasser zu rauschen begann und wir ungehindert sprechen
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