Luzie & Leander - 04 - Verblüffend stürmisch
konnten.
»Luzie, bitte, ich stinke!«
»Ist mir egal. Da drinnen gibt es weder einen Duschvorhang noch eine Duschkabine. In diesem Haus ist seit ungefähr dreitausend Jahren nicht mehr renoviert worden.«
»Na und?« Leander hob die Schultern. »Ich brauche keinen Duschvorhang!«
»Aber ich!«, rief ich laut und biss mir im selben Moment auf die Lippen. Doch Mama und Papa schienen nichts gehört zu haben. Das Unwetter, das sich draußen entlud, sorgte für genügend Ablenkung. Nun ließ ein Blitz Leanders Gesicht blau aufleuchten und im nächsten Augenblick krachte der Donner.
»Luzie, bitte …«
»Geh raus, in den Regen. Der macht auch sauber. Ich will alleine im Bad sein.«
»Der Regen ist kalt!«, protestierte Leander weinerlich. »Da ist Hagel mit drin!«
»Es wird dich nicht umbringen. Ein Sky Patrol sollte ja wohl ein harmloses Sommergewitter ertragen können.« Das wirkte. Leander zog sich schmollend zurück, und als auch ich mir den Straßenstaub aus den Haaren gewaschen hatte, rannten Mama, Papa und ich durch den strömenden Regen zum Wagen und krochen sofort in unsere Betten. Ich hatte das Gefühl, nicht einmal mehr meinen großen Zeh bewegen zu können. Noch nie zuvor in meinem Leben war ich so müde gewesen. Es störte mich auch nicht, dass der Wagen spürbar schief stand und ich fürchten musste, bei der kleinsten Regung aus der Koje zu fallen. Ich wollte mich schließlich nicht regen. Ich wollte einfach nur still daliegen und schlafen.
Schon nach wenigen Minuten begannen Mama und Papa im Duett zu schnarchen und auch mir wollten gerade die Augen zufallen, als ein bläulicher Schatten und eine kräftige Prise Armani meine Müdigkeit verscheuchten. Leander. Als wäre dies hier sein Zuhause, war er in den Wagen geklettert und stand schlotternd und zitternd neben der winzigen Küche, nackt bis auf die Unterhose. Mit einem Küchenhandtuch rieb er sich den Oberkörper trocken. Aus seinen nassen Haaren fielen Wassertropfen auf den Dielenboden und zeichneten sich als dunkle Punkte ab. All das konnte ich immer dann sehen, wenn ein Blitz das Innere des Wagens für Sekundenbruchteile erhellte. In diesen kurzen Momenten sah ich auch sein Tattoo. Bei jeder Bewegung seiner Arme schienen die riesigen Engelsschwingen sacht auf und ab zu schlagen. Die Buchstaben über den Flügeln waren im Licht der Blitze gut zu erkennen. Mea maxima culpa. Meine allergrößte Schuld. Leanders Bekenntnis, etwas falsch gemacht zu machen. Es hätte sein Lebensmotto sein können. Er machte immerzu etwas falsch.
Ich fand es nämlich auch ziemlich falsch, dass er wieder halb nackt vor mir herumgeisterte, doch ich war zu erschöpft, um etwas dagegen zu unternehmen. Außerdem hätte es Mama und Papa geweckt. Deshalb strafte ich ihn nur mit einem bösen Blick, als er sich mit einem schwerelosen Schwung zu mir auf die Pritsche katapultierte – nun immerhin in Rippenshirt und Jeans. Noch immer zitterte er. Ich hörte, wie seine Zähne aufeinander schlugen.
»Kalt«, keuchte er und zog an meiner Decke. Ich gab ihm einen kräftigen Tritt, um ihm zu verstehen zu geben, dass er auf der Stelle verschwinden sollte. Doch er ließ den Deckenzipfel nicht los und hatte bereits seine Füße unter das Plumeau geschoben – Füße, die sich für mich gar nicht kalt anfühlten. Aber sehr nass. Und meine Möglichkeiten, mich zu wehren, waren durch die niedrige Wagendecke extrem eingeschränkt. Ich konnte mich ja nicht einmal aufsetzen. Deshalb half alles nichts – ich musste erneut nach ihm treten. Doch Leander hatte damit gerechnet und packte meinen Knöchel, um mich festzuhalten, während er weiter an der Decke zerrte.
Verbissen rangen wir miteinander und ich hatte schon ein gutes Stück Bettdecke zurückerobert, als der Wagen plötzlich mit der rechten Seite ein paar weitere Zentimeter in den schlammigen Wiesenboden sackte. Im hohen Bogen stürzte ich aus der Koje. Zum Glück hielt ich die Decke noch in den Händen. Sie dämpfte meinen Sturz, doch weh tat ich mir trotzdem.
»Luzie …«, lallte Mama neben mir benommen. »Schon wieder …?«
»Nix passiert, Mama«, erwiderte ich mit zusammengebissenen Zähnen, denn ich war auf den Steiß gefallen und hätte am liebsten lautstark gebrüllt und geflucht. »Schlaf weiter«, setzte ich nach, während Leander, der mir hinterhergehechtet war, mit beiden Händen meine Arme und Beine abtastete.
»Lass das!«, flüsterte ich. »Ich bin okay!«
Doch Leander umfasste meine Hüfte, nahm mich hoch und
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