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Luzie & Leander - 04 - Verblüffend stürmisch

Luzie & Leander - 04 - Verblüffend stürmisch

Titel: Luzie & Leander - 04 - Verblüffend stürmisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Belitz
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vergeblich.
    Nun hatte die Mücke ein Plätzchen gefunden – auf meinem rechten Lid. Ich spürte einen feinen, akkuraten Stich, dann breitete sich das vertraute Kribbeln aus und in spätestens einer Stunde würde das Auge zugeschwollen sein. Immerhin hatte sie es nicht in meinem Mund versucht. Der stand offen, weil ich so leichter Luft bekam. Meine Zunge klebte am Gaumen und mein Rachen schmerzte bei jedem Atemzug.
    Hätte ich nicht längst schon ohnmächtig werden müssen? Oder wurde ich nur deshalb nicht ohnmächtig, weil ich kein richtiger Mensch mehr war? In den ersten Tagen, nachdem Leander seinen Körper bekommen hatte, hatte er kaum Hunger und Durst verspürt, selbst bei halsbrecherischen Stürzen hatte er sich nur leicht verletzt und Schlaf war eine belanglose Nebensache gewesen.
    Wahrscheinlich dauerte nur alles ein bisschen länger, wenn man durchsichtig war. Ein langsames Sterben. Meine Augen verdrehten sich unter meinen geschlossenen Lidern nach oben, weil die Zweige über mir sich im schwülen Wind zur Seite bewegten und die Sonne durchließen. Ich hasste sie. Ich wollte Winter, eiskalten Winter, mit Sturm und Schnee und Hagel … strömendem Regen … Frost … von mir aus Mittelohrentzündung auf beiden Seiten …
    Ich ließ es zu, dass der Schatten der Bäume von meinem Gesicht weg nach rechts wanderte und ich wieder im prallen Sonnenlicht lag, denn ich hatte keine Kraft, dem Schatten zu folgen – ich musste meine Kraft für den Moment aufsparen, in dem Serdan hier eintreffen würde. Falls er eintraf. Und falls er rechtzeitig eintraf. Wenn er mich tot fand, war es sowieso zu spät. Für den Meister der Zeit war das hier alles sehr willkommen, dachte ich bitter. Ich lag bereits neben einem Fluss. Er musste mich nur noch rüberschicken … Oder war er die ganze Zeit schon in der Nähe? Hatten die Cherubims recht gehabt, als sie die missgebildete, schwache Frequenz als Todessignal wahrnahmen?
    Nahm ich auch etwas wahr, wenn ich mich anstrengte? Damals in Papas Keller hatte das Feuer gewütet und gebrüllt, ich hatte den Meister der Zeit nur gerochen – Flusswasser, beinahe wie jetzt. Rettendes, erlösendes Wasser. Aber konnte man den Meister der Zeit auch hören?
    Ja, ich hörte etwas – am Anfang so schwach, dass ich erst an eine weitere gierige Stechmücke dachte, doch dann änderte sich allmählich die Tonhöhe und das Geräusch wurde lauter, penetranter, ebbte ab, wurde wieder schriller … Es fuhr Kurven. Das war weder ein Mähdrescher noch ein Lieferwagen noch ein Traktor. Und es war auch nicht der Meister der Zeit. Es war ein Mofa! Serdan!
    Nun musste ich mich zum Aufstehen zwingen, damit er mich sehen konnte und nicht an mir vorbeifuhr. Stöhnend wälzte ich mich auf die Knie und griff nach einem Ast über mir, um mich hochzuziehen. Erst beim dritten Versuch gelang es mir. Mit meinen zerstochenen Händen hielt ich mich an dem dünnen Baum fest, denn aus eigener Kraft konnte ich nicht auf meinen zitternden Beinen bleiben. Meine Füße spürte ich schon gar nicht mehr.
    Trotzdem gelang es mir, kurz meinen rechten Arm nach oben zu strecken und zu winken. »Serdan!«, rief ich, doch es kam nur noch ein trockenes Keuchen aus meiner Kehle. Ja, das war ein Mofa, ein Mofa mit einer langen, dunklen Gestalt hinter dem Lenker. Aber sie trug keinen Helm. Serdan trug immer einen Helm. Eigentlich. War es ihm zu heiß geworden? Oder war dieser Mofafahrer am Ende ein Fremder, der sich gerne an halb verdursteten vierzehnjährigen Mädchen vergriff?
    Ich blinzelte in das grelle Sonnenlicht. Alles verschwamm, Blau, Grün, Weiß trudelten in Schlieren um sich selbst und lösten sich dann wieder voneinander. Das Mofa wurde zu einem schwarzen, unscharfen Punkt, der nun in den ungeteerten Weg zum Fluss einbog und sich mir näherte. Das Knattern des Motors ließ die Schlieren vor meinen Augen in tausend kleine Farbfetzen zerspringen. Es tat weh. Trotzdem sah ich weiterhin den schwarzen Punkt, der jetzt, wenige Meter vor mir, zum Stehen kam. Das Knattern erstarb und der Punkt zerteilte sich. Die eine Hälfte regte sich nicht mehr, die andere dehnte sich in die Länge und bewegte sich zögerlich auf mich zu.
    War es Serdan? Ich kniff die Augen fest zusammen und öffnete sie wieder. Die Schlieren wurden blasser und der Punkt zu einem Menschen. Ja, das war ein Mensch – ein schmaler, großer Junge mit schlaksigem, aber sportlichem Gang und weißen Sneakers zu seinen schwarzen Jeans. Serdans weiße Sneakers … Es

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