Lycana
sich die Vampirin abgewandt hatte. Ihr Begleiter saß bereits auf dem Kutschbock und rief ihr etwas zu. Sie zögerte kurz. Noch einmal traf ihr Blick ihn bis ins Mark, dann schwang sie sich mit einem unglaublichen Sprung über die Mauer und auf den Wagen. Die Pferde zogen an.
Bram Stoker blieb in der leeren Fensteröffnung der Kirchenruine stehen, bis der Wagen entschwunden und der Hufschlag verklungen war. Noch konnte er es nicht recht fassen. Er hatte dem Tod und der Verdammnis in die Augen geschaut - und war ihm entkommen.
»Das glaubt mir Oscar nie und nimmer«, murmelte er, als er endlich wieder in der Lage war, sich zu bewegen. Mit schleppenden Schritten, als wäre er in diesen Minuten um Jahre gealtert, machte er sich auf den Rückweg zu ihrem Gasthaus. Der Blick der Vampirin brannte noch immer auf seiner Seele.
WETTLAUF GEGEN DIE ZEIT
Als Franz Leopold aus seiner halb vermoderten Kiste stieg, galt sein erster Gedanke Ivy. Ihr Sarg war bereits verlassen und sie und Seymour im oberen Saal nicht mehr zu sehen. Der Dracas flog nahezu die lange, gewundene Treppe hinunter. Er hielt nur inne, um einen Blick in die Halle mit der großen Feuerstelle zu werfen und festzustellen, dass sich Ivy auch hier nicht auf hielt. Franz Leopold kehrte zur Treppe zurück und stieß fast mit Alisa zusammen.
»Ist sie schon weg?«, rief Alisa ihm zu.
»Woher soll ich das wissen?«
Sie schossen durch den Torbogen ins Freie. Das dumpfe Klappern von Hufen auf Holz klang zu ihnen herüber.
»Sie sind auf der Zugbrücke!«
Sie rannten weiter und kamen an der Brücke an, als die Schimmelstute das andere Ufer erreichte. Ivy blieb stehen und wandte sich zu ihnen um. Seymour legte den Kopf in den Nacken und jaulte.
»Komm!« Alisa und Franz Leopold überquerten die Zugbrücke in wenigen Sätzen. Sie hatten nicht darüber gesprochen, waren jedoch beide entschlossen, Ivy nicht ohne ihre Begleitung gehen zu lassen. Mit ernsten Mienen traten sie vor sie und grüßten die Druidin auf ihrem Ross und die beiden Lycana aus Aughnanure, die sie anscheinend begleiten sollten.
»Verzeiht, dass ich mich nicht von euch verabschiedet habe. Wir sind in Eile, doch schon morgen Nacht kehren wir zurück.«
Franz Leopold knurrte. »Du weißt genau, dass wir dir nicht nachgelaufen sind, um uns zu verabschieden. Wir kommen mit!«
»Das ist nicht möglich«, mischte sich die Druidin ein. »Ihr werdet hierbleiben und euch auf eure Ausbildung konzentrieren. Das ist eure Aufgabe. Ivys Aufgabe ist es, heute Nacht mit mir zu kommen.«
»Was ist das Ziel eurer Reise?«, fragte Alisa, bekam aber keine Antwort. Die Druidin sah sie nur streng an.
»Kehrt in die Burg zurück, wo ihr sicher seid. Niemand sollte sich in diesen Nächten schutzlos draußen herumtreiben.«
»Gerade deshalb müssen wir mitkommen!« Franz Leopold war nicht bereit, so schnell aufzugeben.
Ein Lächeln huschte über das faltige Gesicht. »Das ehrt dich, Franz Leopold vom Clan der Dracas, dennoch muss ich meinen Befehl wiederholen: Kehrt in die Burg zurück! Glaube mir, Ivy ist in unserer Gesellschaft sicher«, fügte sie sanfter hinzu. Dann wandte sie ihr Pferd ab und es fiel sogleich in einen flotten Galopp. Die Vampire folgten ihr zu Fuß, die drei Wölfe liefen hinterdrein. Missmutig zogen sich Franz Leopold und Alisa bis zum Torhaus zurück.
»Habe ich etwas verpasst? Sind sie schon aufgebrochen?« Luciano kam atemlos über den Hof gelaufen und stürzte durch das Tor, wo er fast in Alisa hineinschlitterte.
»Wer verschläft und trödelt, verpasst immer etwas«, antwortete Franz Leopold kühl.
»Ivy ist mit der Druidin und zwei Lycana nach Westen gegangen. Die Wölfe begleiten sie, und das weiße Pferd, auf dem Tara gestern angekommen ist. Zu Fuß könnte die alte Frau wohl nicht mit ihnen Schritt halten, vermute ich, obwohl sie eine Druidin ist.«
»Wie schade, dass sie uns nicht mitnehmen«, sagte Luciano mit einem Seufzer. »Ich bin zu neugierig, was das alles zu bedeuten hat. Warum mussten wir alle hierherkommen? Was will die Druidin mit Ivy in dem trüben Moor?« Sein Blick wanderte über die Brücke hinweg nach Westen, wo die Reiterin und die Vampire schon nicht mehr zu sehen waren. Ein Ausdruck von Entschlossenheit trat in sein Gesicht. »Wenn wir etwas erfahren wollen, dann werden wir ihnen wohl ohne Erlaubnis folgen müssen!«
Franz Leopold und Alisa fuhren herum und starrten ihn an. Dann erhellte ein Lächeln die Miene das Dracas. »Das ist das erste
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