Lycana
auf den Tag neunundneunzig Jahren. Und so lange ist es auch her, dass ich zum Vampir und Seymour zum Werwolf wurde. Zu Beginn der Verhandlungen waren wir noch Menschen - wenn auch ganz besondere, denn in unseren Adern floss die alte Magie der Druiden.«
Alisa schlug sich an die Stirn. »Bei den Dämonen der Unterwelt, warum bin ich nicht gleich darauf gekommen. Tara ist eure Mutter!«
»Ja«, sagte Ivy schlicht. »Wir drei waren bei den Verhandlungen dabei, als Turlough die Armreifen brachte, die er aus dem cloch adhair gefertigt hatte. Der Vorschlag war gut, doch sie konnten sich nicht einigen, wer von ihnen sie tragen sollte. Die Alten schienen noch zu sehr vom Hass der Kriegsjahre vergiftet, die starken Jungen waren zu unüberlegt und auf zu viele Neuerungen aus.«
»Wer hat den Vorschlag gemacht?«, fragte Alisa, der die Ungeheuerlichkeit dieser Entscheidung immer deutlicher bewusst wurde. »Geschah es gegen euren Willen?« Ihr schauderte bei dem Gedanken. Sie stellte sich in ihrem Geist das Mädchen Ivy und ihren Bruder vor, wie die Vampire und Werwölfe über sie berieten und sie dann von der Seite ihrer Mutter zerrten, um sie zu dem zu machen, was sie selbst waren.
»Nein, wir stimmten beide zu. Ja, es war sogar unsere Idee.« Sie sah zu Seymour auf, dessen menschliche Augen im selben Türkis wie Ivys erstrahlten. Er nahm ihre Hände.
»Ja«, bestätigte er. »Wir waren jung und voller heldenhafter Gedanken, und wir sahen den Kummer in den Augen unserer Mutter, als der Frieden in weite Ferne zu rücken schien. Diese Nacht gebar den Gedanken, dass wir das Pfand sein würden - in Liebe verbunden: Druide, Werwolf und Vampir. Tara hat es das Herz gebrochen, aber wir ließen ihr keine Wahl, und so blieb ihr nichts anderes übrig, als nachzugeben.«
»Bei Vollmond vollzogen sie das Ritual an den alten Hünengräbern.«
»Es hat euch unsterblich gemacht«, warf Luciano ein. »Nun, zumindest Ivy, aber auch Werwölfe leben sehr lange. Als Menschen wärt ihr längst Staub. Es war eine gute Entscheidung.«
Ivy sah ihn mit einem weichen Lächeln an. »Wenn man nie ein Mensch war, kann man nicht nachempfinden, was man verliert. Für euch ist alles ganz natürlich. Menschen sind nur Beute in euren Augen. Ich sehe sie noch immer in einem anderen Licht und habe ihre Gesellschaft nur schweren Herzens verlassen. Ihr habt das Leben im Licht des Tages nicht kennengelernt. Aber ich spüre manches Mal den Drang in mir, draußen sitzen zu bleiben, wenn der Tag erwacht, den Vögeln zu lauschen und mein Gesicht im warmen Licht der aufgehenden Sonne zu baden.«
»Sie ist nicht warm, sie ist zerstörerisch heiß!«, korrigierte Luciano.
»Für euch, ja, und für mich seit der Wandlung auch.«
Alisa sah in die Ferne, die Stirn nachdenklich in Falten gelegt. »Eines verstehe ich allerdings nicht. Warum ist Seymour bei dir geblieben? Warum lebt er bei den Lycana und nicht bei der Werwolfsippe in den Mooren draußen?«
Ivy und Seymour tauschten einen schnellen Blick. »Ich war nicht bereit, sie zu verlassen. Ivy ist noch immer meine Zwillingsschwester, und ich beschütze sie, egal wohin sie geht.«
»Das ist den Werwölfen ein Dorn im Auge«, vermutete Alisa.
»Ja, das ist der Grund, warum sie uns Verrat und Wortbruch vorwerfen. Sie sagen, Tara spreche nur für die Vampire und Seymour gehöre mehr zu den Lycana als zu ihnen. Deshalb fühlen sie sich betrogen und denken, es sei ihr Recht, den Druiden den Stein vorzuenthalten.«
»Ich kann die Werwölfe verstehen«, sagte Luciano, ohne sich um Seymours Knurren zu kümmern. »Das riecht schon ein wenig nach einem abgekarteten Spiel. Bei jeder Sippe hätte einer der Auserwählten leben müssen.«
»Sie hatten den cloch adhair in ihren Händen«, gab Seymour mürrisch zurück.
»Zu Recht! Das Los hat entschieden, dass er ihnen als Erstes zusteht«, sagte Ivy.
»Und wenn sich Seymour dazu bereit erklärt, von nun an mit seiner Sippe zu leben? Vielleicht würde dann alles wieder ins Lot kommen und der drohende Krieg verhindert«, schlug Alisa ein wenig zaghaft vor.
»Niemals!«, rief Seymour.
»Jetzt ist es, glaube ich, für diese Geste zu spät«, meinte Ivy.
»Gut«, sagte Luciano und erhob sich. »Dann müssen wir zusehen, dass die Streitigkeiten auf andere Weise beendet werden und der Stein dorthin kommt, wo er laut Vertrag hingehört: in die Hände der Druiden!«
»Ja, sicher, aber was hast du vor? Wir können im Augenblick nichts tun. Wir müssen warten, bis die
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