Lycana
sie herzlich. »Ivy, wir haben uns schon gewundert, wo du steckst. Mervyn wusste es auch nicht. Ja und auch du, Seymour, dich haben wir ebenfalls vermisst«, fügte sie hinzu und ging vor dem weißen Wolf in die Knie. Da seine Nackenhaare glatt blieben, streichelte sie ihn. Luciano hielt sich lieber von ihm fern. Seymour hatte seine Launen und ließ sich nur von wenigen Vampiren anfassen.
Ivy freute sich, Alisa wiederzusehen und auch den etwas unbeholfenen Luciano, obgleich seine Verehrung ihr ein wenig unangenehm war. Sie wollte ihn gar nicht in Verlegenheit bringen, doch manches Mal wusste sie einfach nicht, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollte. Sie zögerte, ehe sie sich dem Dracas zuwandte.
»Leo, ich begrüße dich auf der grünen Insel. Ich hoffe, dein Eifer, unser Land und seine Bewohner zu studieren, ist ungebrochen«, sagte sie und betete, ihre Stimme würde wie immer klingen.
»Oh ja, wir hatten heute Nacht bereits die Gelegenheit, eure faszinierenden Geschöpfe kennenzulernen. Schafe und noch mehr Schafe. Welch Herausforderung für unseren Geist!«
Sein Tonfall war hart und arrogant, und Ivy kostete es Mühe, nicht zusammenzuzucken. Seine Stimme war so weich gewesen, als er das letzte Mal mit ihr gesprochen hatte, dass sie den kalten Klang, der ihr meistens eigen war, fast vergessen hatte.
»Tu nur nicht so«, fuhr ihn jetzt Luciano an. »Du hast auch eine ganze Weile gebraucht, bis du es hinbekommen hast.«
»Und du hast es gar nicht geschafft«, konterte Franz Leopold und wandte sich von ihnen ab.
Alisa seufzte. »Du siehst, es hat sich nichts geändert. Lass uns hineingehen. Dann kannst du uns erzählen, wie du deinen Sommer verbracht hast.«
Gerade das hatte Ivy nicht vor, und so stellte sie Luciano die Gegenfrage und lauschte seinem Schwall von Erlebnissen.
»Unser feiner Bibliothekar Leandro ist übrigens spurlos verschwunden«, sagte er. Ivy horchte auf und warf Alisa einen Blick zu. Sie machte ein grimmiges Gesicht bei dem Gedanken an den verräterischen Servienten der Nosferas, der sie in Rom kläglich im Stich gelassen hatte.
»Dann ist Leandro also seiner gerechten Strafe entkommen«, murrte Alisa.
Luciano hob die Schultern. »Ich weiß es nicht. Entweder ist er geflohen, oder der Conte hat ihn unauffällig beseitigen lassen, obwohl er immer wieder betont, es gebe nichts, was die Vernichtung eines Vampirs durch einen anderen rechtfertigen könnte.«
»Wenn er geflohen ist, dann ist er jetzt irgendwo alleine unterwegs«, sagte Ivy nachdenklich. »Ein Ausgestoßener, über den niemand mehr spricht, der in Vergessenheit gerät und doch weiterexistiert.«
Alisa sah sie aufmerksam an. »Du meinst, es könnten noch andere Vampire dort draußen existieren, die keinem Clan angehören oder zumindest nicht mehr?«
Ivy nickte. »Ja, das wäre eine Erklärung. Dennoch glaube ich nicht, dass sie spurlos verschwinden können. Irgendjemand muss sich erinnern. Und dann ist es auch möglich, ihre Fährte wieder aufzunehmen.« Seymour knurrte leise.
»Du glaubst also nicht, dass wir uns in Rom geirrt haben?«, fragte Alisa leise.
Ivy schüttelte den Kopf. »Nein!«, sagte sie mit Nachdruck, und die Erinnerung an den riesenhaften Schatten ließ sie schaudern. »Nein, wir haben uns nicht geirrt. Irgendetwas ist dort draußen …« Sie sah auf den Ring an ihrem Finger, dessen Echsenaugen grün auf blitzten, und wieder einmal fragte sie sich, warum sie ihn nicht einfach ins Meer hinausschleuderte. Ja, warum sie ihn überhaupt aufgehoben hatte. Sie spürte die Blicke der anderen und versteckte die Hand rasch in den weiten Ärmeln ihres Gewandes. »Lasst uns hineingehen«, schlug sie vor. Die drei Freunde waren die Letzten, die noch vor dem Tor standen. Die anderen hatten die Zugbrücke längst passiert.
»Ich freue mich, euch auf Dunluce Castle begrüßen zu können«, sagte Ivy herzlich, als sie das Tor zur Vorburg durchschritten hatten und auf die Zugbrücke und das dahinter aufragende Torhaus zustrebten. Im äußeren Hof gingen einige der irischen Servienten noch ihren nächtlichen Arbeiten nach, während sich die Familie wie gewöhnlich im Saal von Manor House versammelt hatte, um in den letzten Stunden vor dem Morgengrauen einem Geschichtenerzähler oder Barden zu lauschen. Neben der üblichen Tafel standen nun zwei langen Tische im hinteren Teil des Saals, an dem die anderen jungen Vampire bereits saßen, tönerne Becher in den Händen.
»Luciano, sieh, es gibt frisches Blut«, sagte
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