Lycana
gegeben hätte? Hättest du sie dann gezwungen, sich ins Wasser zu stürzen?«, fragte Franz Leopold neugierig.
»Natürlich nicht! Ich hätte ihren Widerstand gespürt und sie entlassen!«
»Aber es wäre dir möglich gewesen«, bohrte er weiter. Ivy ging nicht darauf ein.
»Wo ist eigentlich Seymour?«, unterbrach Alisa und sah sich suchend um. »Ist er nicht mitgekommen?«
»Er muss atmen!«, erinnerte Ivy. »Ich wollte erst sichergehen, dass es auf der anderen Seite weitergeht und die Strecke unter Wasser für ihn nicht zu weit ist. Nun kann er gefahrlos nachkommen.«
Sie hatte den Satz kaum ausgesprochen, da teilte sich das von aufgewirbeltem Schlamm getrübte Wasser, und der Kopf des weißen Wolfs erschien. Mit einem mächtigen Satz sprang er ans Ufer und schüttelte sich, dass die vier Vampire ein zweites Mal durchnässt wurden.
Zwei Gänge führten von der Höhlung ab. Der Boden um den kleinen See war glatt und nass. Wasser rann in Fäden an den Wänden herab, sammelte sich am Boden und floss in den See. Alisa machte ein missmutiges Gesicht.
»Was ist?«, wollte Luciano wissen.
»Hier kann man keine Fußspuren hinterlassen. Das Wasser nimmt den Geruch mit sich und verfälscht ihn. So bekommen wir nicht heraus, wer hier gewesen ist.« Sie sah zu Ivy und Seymour, doch die Lycana schüttelte ebenfalls bedauernd den Kopf.
»Wohin jetzt weiter? Dem Wasser nach Süden folgen oder dem anderen Gang, aus dem die Fledermaus zu uns gestoßen ist?«
Sie entschieden sich für den Gang, der nach Süden führte. Er wand sich und stieg dabei stetig an. Ein paar Mal zweigten schmälere Spalten ab, aber die vier folgten dem Hauptgang weiter, bis er in einer Art Kessel endete. Er musste sehr hoch sein, verengte sich aber in der Höhe. Sie legten die Köpfe in den Nacken und versuchten, die Ausmaße zu erahnen.
»Ich spüre frische Nachtluft«, sagte Luciano.
»Ah, er bekommt einen Höhlenkoller«, spottete Franz Leopold. »Zu viele enge Gänge in der lichtlosen Nacht.«
Doch Alisa reckte die Nase in die Luft. »Dann habe auch ich einen Höhlenkoller - oder Lucianos Sinne trügen ihn nicht.«
Ivy nickte. »Konzentriert euch auf eure Augen und nicht auf den Schall der Fledermäuse, dann könnt ihr das kleine Loch hoch oben in der Decke erkennen. So wie es aussieht, ist die Nacht bereits am Verblassen. Wir sollten umkehren.«
»Das ist ganz schön hoch«, sagte Alisa nach einer Weile. »Schade, dass die Wände so glatt und überhängend sind und noch dazu nass. Das macht es uns unmöglich, hochzuklettern und den Ausgang genau in Augenschein zu nehmen. Ich wüsste zu gern, ob da jemand reingekommen ist!«
»Wir können die Fledermäuse hochschicken, um alles näher zu betrachten«, schlug Franz Leopold vor, und schon flatterte das kleine Tier mit seinen ledernen Schwingen der Nachtluft entgegen. Sie konnten die Wände nun nicht nur besser sehen, sie rochen die frische Luft und spürten die zunehmende Helligkeit, die der Fledermaus in den Augen brannte, als sie für einen Moment durch das Loch stieß und über ihm eine Schleife drehte, ehe sie in die Höhle zurückkehrte.
»Da ist jedenfalls keiner reingekommen«, sagte Luciano, der mit Ivys Hilfe die Eindrücke ebenfalls empfing. »Das Loch ist viel zu klein.« Er wandte sich ab und strebte wieder dem Gang zu. Alisa und Franz Leopold tauschten einen Blick. Ihre Gedanken begegneten einander.
Zu klein für ein Wesen in Menschengestalt!
»Was ist denn?«, fragte Ivy. Plötzlich bemerkten sie, dass Seymour nach allen Seiten witterte. Er hatte die Ohren angelegt und die Lefzen hochgezogen.
Franz Leopold beugte sich über einen Steinblock, dessen Oberfläche fast trocken war. Seine Nasenflügel blähten sich. »Wenn es nicht absolut unmöglich wäre, dann würde ich sagen, hier riecht es nach meiner Cousine Anna Christina und ihrem ekelhaften Parfum.«
HÖHLENBEGEGNUNGEN
Tara musste die Stute nicht antreiben. Sie ließ das Tier spüren, wie wichtig ihre Mission war, und vertraute darauf, dass sie ihr Bestes geben würde. Während die alte Druidin im Laufe ihres langen Lebens gelernt hatte, Müdigkeit und Hunger für eine Zeit lang zu unterdrücken und sich in eine Kammer ihres Geistes zurückzuziehen, um sich zu erfrischen, musste die Stute ihre Kräfte einteilen. Tara griff nicht ein und überließ es dem Tier, seinen Schritt zu wählen. Und die Schimmelstute verstand es, das Tempo kräfteschonend dem Gelände anzupassen. Nur wenn die Erschöpfung sie
Weitere Kostenlose Bücher