Lynettes Erwachen
darauf.
„Ich werde die Summe in den nächsten Tagen überweisen. Evelyn, Sie überwachen Ms. Harllow. In der nächsten halben Stunde wird sie die Kanzlei verlassen. Übergeben Sie alles an Thums.“
Ohne ein Wort des Abschieds verließ er das Büro. Geräuschvoll atmete Lynette die angehaltene Luft aus.
„Als könnte ich etwas für seinen verantwortungslosen Sohn. Ist Thums da?“
„Ja. Ich sage ihm Bescheid. Nehmen Sie es sich nicht so zu Herzen. Es tut ihm leid, Sie zu verlieren.“
„Ja, sicher, das hat er gerade deutlich gemacht.“
Eine Dreiviertelstunde später trat Lynette aus dem Bürogebäude und fühlte sich verloren. John Ramseys ruppiger Auftritt hatte ihr mehr zugesetzt, als sie sich eingestehen wollte. Jetzt hatte sie noch mehr das Gefühl, ihn im Stich zu lassen. Aber was war mit ihr? Hatte er sie nicht auch im Stich gelassen? Die Hoffnung auf die Partnerschaft war nicht unbegründet gewesen. Oft hatte er ihr gegenüber Andeutungen in diese Richtung gemacht.
Lynette sah das Gebäude hinauf. Ihr wären fast die Tränen gekommen, als Evelyn sie zum Abschied in die Arme genommen hatte.
Gut, Lynette. Du hast diesen Schritt jetzt getan. Sieh nach vorn. Morgen triffst du dich mit Ben, und dann fängt dein neues Leben an.
Lynettes Handy klingelte. Als sie die Nummer sah, wurde ihr klar, dass ihr neues Leben längst begonnen hatte.
„Hi, Elias.“
„Hallo, Süße. Wie geht’s dir?“
„Ganz gut. Ich komme gerade aus dem Büro.“
„Wie hat Ramsey es aufgenommen?“
„Nicht gut. Ich habe ein schlechtes Gewissen.“
„Es geht um dein Leben, Lynette. Du musst deine Ziele verwirklichen. Da brauchst du kein schlechtes Gewissen zu haben.“
„Ich weiß.“
„Warum ich anrufe: Könntest du die Schlüssel bei Bayle abholen? Ich bin mitten in der Baubesprechung für das Spa, und es dauert länger, als ich dachte.“
„Das mache ich gern. Ich wusste sowieso nichts mit mir anzufangen, als ich die Kanzlei verließ.“
„Wolltest du nicht zu diesem Benjamin?“
„Wir treffen uns morgen.“
„Gut. Dann sehen wir uns um zwei Uhr in der Villa?“
„Ja.“
„Lynette?“
„Ja?“
„Ich freue mich auf dich.“
Dieser Satz zauberte ihr ein Lächeln aufs Gesicht. „Ich mich auch.“
Die Villa sah von außen größer aus, als Lynette gedacht hatte. Der rote Backsteinbau mit den vielen kleinen Türmchen und dem Fachwerk wirkte in dieser Gegend fehl am Platz. Aus den Unterlagen wusste sie, dass dieses Gebäude über fünfhundert Quadratmeter Wohnfläche hatte, es wirkte jedoch noch viel größer und imposanter.
„Warum gehst du bei dem Sauwetter nicht rein?“
Elias kam ihr entgegengerannt und stellte sich unter den Schirm.
„Es ist dein Haus. Ich wollte nicht ohne dich reingehen.“
Ganz dicht stand er bei ihr. Sie spürte die Hitze seines Körpers bis auf die Haut. Erst jetzt bemerkte sie, wie sehr sie ihn vermisst hatte. Unentwegt starrte sie auf die sinnlich geschwungenen Lippen, sehnte sich nach einem Kuss, doch da war eine gewisse Distanz zwischen ihnen.
Elias lächelte. „Lass uns reingehen.“
Er nahm ihr die Schlüssel ab und streichelte leicht über die Innenfläche ihrer Hand. Diese zarte Berührung ließ sie sofort innerlich erschaudern. Irritiert, ob diese Geste bewusst oder unbewusst gewesen war, folgte sie ihm die vier Stufen hinauf zur Tür.
Lynette traute ihren Augen nicht, als sie die Eingangshalle betraten. Über ihnen wölbte sich eine Glaskuppel. Durch den Regen wurde der Raum in ein unwirkliches Licht getaucht. Vor ihnen führte eine Freitreppe in die oberen Etagen und bildete dort eine Galerie. Rechts ging es durch eine Flügeltür in einen Salon, und auf der linken Seite befanden sich drei weitere Türen. Der Eingangsbereich war bestimmt dreißig Quadratmeter groß. In der Mitte, direkt unter der Kuppel, stand ein Tisch, von weißen Laken verhüllt.
Fassungslos starrte Lynette auf die Treppe. Einer Erscheinung gleich sah sie eine hochgewachsene Frau in Abendrobe die Stufen hinunterschreiten. Das lange, schwarze Haar war zu einer kunstvollen Frisur aufgesteckt, und die blauen Augen leuchteten begierig und wissend. „Willkommen bei Aurelias Soiree“, hörte Lynette eine flüsternde Stimme. Ein kalter Schauer rann ihr die Wirbelsäule hinab.
Dieses Haus war eine andere Welt, genau wie Elias’ Club. Die Aura vergangener Gelüste und Ausschweifungen hatte sich in den Wänden eingenistet und strahlte aus jeder Fuge, aus jedem Stein. So absurd es
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