Lynettes Erwachen
Hand über den kleinen Tisch hinweg, „ich liebe Lynette. Sie können mir vertrauen.“
Es fühlte sich wie eine Befreiung an, es endlich laut ausgesprochen zu haben. Und entgegen seiner Befürchtung hatte ihn nicht der Blitz getroffen.
Justine reagierte allerdings wenig überschwänglich, sondern sachlich. „Wir werden sehen, wie ernst Sie das meinen. Allerdings rechne ich Ihnen hoch an, dass es Lynette in letzter Zeit sehr gut geht.“
„Sie kennen Lynette seit der Kindheit, nicht wahr?“
„Ja, und ich werde Ihnen nichts erzählen. Was ist jetzt mit ihrem Geburtstag? Ich kann kaum glauben, dass sie es Ihnen gesagt hat.“
„Hat sie nicht. Ich weiß, dass er irgendwann in den nächsten Tagen ist. Sie hat sich vollkommen zurückgezogen, will mich nicht sehen, und am Telefon ist sie sachlich und kurz angebunden.“
„Lynette kniet sich in die Arbeit. So ist sie eben. Damit werden Sie leben müssen, wenn Sie sie wirklich lieben.“
„Das kann unmöglich bedeuten, dass wir uns tagelang nicht sehen? Ich weiß, dass sie für die Arbeit gelebt hat, aber jetzt gibt es mich in ihrem Leben.“
„Sie fühlen sich vernachlässigt?“, fragte Justine mit einem süffisanten Lächeln um die Lippen.
„Ich fühle mich nicht vernachlässigt, nur einsam. Mein Gott, ich vermisse sie halt. Ich will sie im Arm halten, ihre Wärme … Ach, warum erzähle ich Ihnen das eigentlich alles?“
„Weil Sie sich von mir Hilfe erhoffen!“
Mit offenem Mund starrte er sie an. „Ich brauch keine Hilfe! Heute Abend werde ich zu ihr gehen und mit ihr reden. Das ist lächerlich.“
„Ihr Geburtstag ist am Dienstag, und das wissen Sie nicht von mir. Mit einer großen Party wäre ich hingegen vorsichtig. Das ist nicht ihr Ding.“
„Warum hasst sie ihren Geburtstag?“
„Den Letzten hat sie mit mir und meinen Eltern verbracht. Es war der Fünfzehnte. Am nächsten Tag ist sie nach London ins Internat gegangen. Seit dem feiert sie diesen Tag nicht mehr, um die Erinnerungen nicht zu beschwören.“
„Man soll nicht schlecht über Verstorbene reden, doch dieser Frau, die man kaum als Mutter bezeichnen kann, könnte ich den Hals umdrehen“, sagte Elias frustriert. Die kleinen Puzzleteile, die langsam ein Bild von Lynettes Kindheit ergaben, bewegten ihn tief. Er wollte sie beschützen, ihr die Erinnerungen nehmen und ihr ein Leben voller Freude und Liebe zu Füßen legen.
„Was haben Sie für Lynettes Geburtstag geplant?“, riss Justines Frage Elias aus den Gedanken.
„Haben Sie noch Zeit?“
„Wieso?“
„Ich brauche ein schwarzes, langes Kleid.“
„Zwischen Lynettes und meinem Geschmack liegen Welten.“
„Darum geht es nicht. Ich weiß, was ich haben will, nur die Größe …“
„Sie wollen ihr ein Kleid schenken? Was haben Sie vor?“
„ Schwanensee .“
„Sie soll tanzen?“
„Nein“, lachte Elias. „Obwohl das eine durchaus verlockende Vorstellung ist. Sie vergöttert Vasili Romanow. Er ist gerade in der Royal und tanzt Schwanensee . Ich habe Plätze für die erste Reihe bekommen, und sie soll ein Kleid tragen, das aussieht, als wäre sie der schwarze Schwan.“
„Das ist aber Lynettes Geburtstag, nicht deiner. Oh, Entschuldigung!“
„Ist schon in Ordnung. Ich bin Elias. Unter den gegebenen Umständen ist das Sie sowieso fehl am Platz.“
Justine legte ein paar Scheine auf den Tisch und stand auf. „Lass uns ein Kleid kaufen gehen. Ich hoffe, du schaust nicht so auf den Preis wie Lynette?“
Skeptisch beäugte Elias das Geld. „Ich bin es nicht gewohnt, dass eine Frau die Rechnung begleicht.“
„Nun hab dich nicht so, Macho. Das Kleid musst du bezahlen.“
„Die Geister, die ich rief …“, entgegnete er lachend.
Während Elias Justine folgte, fragte er: „Hat Lynette nicht gerade einen Haufen Geld für Klamotten ausgegeben? Wie kommst du darauf, dass sie geizig ist?“
„Du glaubst nicht, was das für ein Kampf war. Immer dreht sie zuerst die Preisschilder um und rümpft die Nase. Obwohl ihr Stil so spießig ist, dass der Preis keine Rolle spielt. Lynette trägt die Sachen sowieso bis ans Lebensende. Zeitlose Eleganz nennt sie das. Ich nenne es altmodisch. Sie hat sich ein Chanelkostüm gekauft. Darin sieht sie wie fünfzig aus, und der Preis war egal.“
Elias kamen die Tränen vor Lachen.
„Du hast gut lachen! Du warst nicht dabei.“
„Ein Chanelkostüm also. Nicht etwa in Rosa?“
„Um Gottes willen. Da hätte ich gestreikt. Es ist grau“, sagte Justine gönnerhaft
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