Lyonesse 1 - Herrscher von Lyonesse
Luft auf. Wie aus weiter Ferne erscholl seine Stimme: »Fort bin ich.«
König Rhodion verharrte einen Moment reglos, dann stelzte er auf seinen dünnen Beinen zurück zur Vorderseite des Wagens. »Und noch etwas. Höre gut zu, Glyneth. Das Amulett ist mein Siegel. Wenn du esträgst, bis du gegen jegliche Übeltaten von Halblingen gefeit: Weder Elf noch Kobold, noch Troll, noch Doppeltroll kann dir etwas anhaben. Doch hüte dich vor Geistern, Pferdeköpfen, grauen und weißen Ogern und allen Wesen, die unter den Sümpfen leben.«
König Rhodion ging hinter den Wagen. Als die drei ihm folgten, war er verschwunden.
Glyneth ging zu ihrem Katzenkorb, den sie auf dem Vordersitz des Wagens abgestellt hatte. Als sie ankam, sah sie, daß Schnurrgel von innen den Deckel zur Seite gestemmt hatte und gerade im Begriff war,sich durch die Öffnung hinauszuzwängen.
»Schnurrgel!« rief Glyneth empört. »Das ist schiere Bosheit. Du weißt doch, daß du brav in deinem Korb bleiben sollst!«
»Es ist heiß und eng hier drinnen«, antwortete Schnurrgel. »Ich wollte lieber an die frische Luft und das Dach des Wagens ein wenig erkunden.«
»Alles schön und gut, aber du mußt jetzt tanzen und die Leute unterhalten, die euch voller Bewunderung zuschauen.«
»Wenn sie uns so sehr bewundern, dann laß sie doch selbst tanzen. Schniefchen ist derselben Ansicht. Wir tanzen nur, um dich zu erfreuen.«
»Das ist vernünftig, füttere ich euch doch mit dem feinsten Fisch und gebe euch süße Milch zu trinken. Störrische Katzen kriegen aber nur Brot und Wasser.«
Schniefchen, der aus dem Innern des Korbes zugehört hatte, rief hastig: »Hab keine Furcht! Wenn wir tanzen müssen, dann werden wir auch tanzen, auch wenn ich beim besten Willen nicht verstehe, warum. Ich mache mir nicht das geringste aus denen, die stehenbleiben, um uns zuzuschauen.«
Die Sonne legte sich auf einem Bett aus dicken Wolken zum Schlafen nieder. Rasch kamen andere Wolken und deckten sie zu, und Dunkelheit fiel über die Allmende von Long Danns. Dutzende kleiner Feuer flackerten in der kühlen, feuchten Abendbrise, und die Hausierer, Händler und Budenbesitzer kauerten über ihrem Abendessen und warfen immer wieder besorgte Blicke hinauf zum düsteren Himmel. Sie rechneten jeden Augenblick mit dem Beginn des Regens, der sie und ihre Wagen durchnässen und die Jahrmarktwiese in einen Morast verwandeln würde.
Hinter ihrem Wagen saßen Shimrod, Glyneth und Dhrun vor dem Feuer und warteten, daß die Suppe gar werden würde. Jeder der drei hing seinen eigenen Gedanken nach. Es war Shimrod, der schließlich das Schweigen brach. »Es war ein interessanter Tag.«
»Er hätte schlimmer, und er hätte besser sein können«, versetzte Glyneth. Sie blickte zu Dhrun hinüber, der, die Arme um die Knie geschlungen, mit blicklosen Augen ins Feuer starrte. Doch hatte er nichts zu sagen. »Wir sind den Bannfluch losgeworden, daher brauchen wir nun wenigstens kein weiteres Pech mehr zu befürchten. Von Glück werden wir freilich erst dann wieder reden können, wenn Dhrun sein Augenlicht zurück hat.«
Shimrod legte frisches Reisig auf das Feuer. »Ich habe ganz Dahaut nach dem Mann mit den schlimmen Knien abgesucht – das wißt ihr. Wenn ich ihn auf dem Jahrmarkt in Avallon auch nicht finde, reisen wir nach Swer Smod in Lyonesse. Wenn noch einer helfen kann, dann Murgen.«
»Dhrun!« flüsterte Glyneth. »Du darfst nicht weinen!«
»Ich weine nicht.«
»Doch, du weinst. Tränen laufen über deine Wangen.«
Dhrun blinzelte und schlug die Hände vors Gesicht. »Ohne euch zwei würde ich verhungern, oder die Hunde würden mich fressen.«
»Wir würden dich nicht verhungern lassen.« Glyneth schlang die Arme um seine Schultern. »Du bist ein wichtiger Junge und der Sohn eines Prinzen. Eines Tages wirst du auch ein Prinz sein.«
»Hoffentlich.«
»So, nun komm und iß deine Suppe, und gleich wirst du dich besser fühlen. Wenn du sie aufgegessen hast, wartet außerdem noch eine feine Melonenscheibe als Nachspeise auf dich.«
26
Carfilhiots Räume im Turm von Tintzin Fyral waren von bescheidenen Ausmaßen und schmuckloser Kargheit, mit weiß gekalkten Wänden, nackten Holzböden und eben nur dem Nötigsten an Mobiliar. Carfilhiot wollte nichts Kunstvolleres; die Schlichtheit der Räume übte einen beruhigenden Einfluß auf sein bisweilen überschwappendes Naturell aus.
Carfilhiots Tage verliefen in gleichförmigen, geregelten Bahnen. Er pflegte zeitig
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