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Lyonesse 3 - Madouc

Titel: Lyonesse 3 - Madouc Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Vance
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Madouc fand den Gesamteindruck sowohl ungewöhnlich als auch angenehm. Über den Salon hinaus bot das Quartier noch ein Schlafgemach, ein Badezimmer mit Inventar aus blaßrotem Porphyr sowie ein Ankleidezimmer mit einem großen byzantinischen Spiegel an der Wand. Ein Regal enthielt eine reiche Auswahl an Duftstoffen, Ölen, Salben und Essenzen.
    Madouc entdeckte nur einen einzigen Nachteil an dem Quartier: nämlich, daß die Unterkunft, die Fräulein Kylas zugewiesen worden war, unmittelbar an die ihre grenzte und zudem durch eine Tür mit ihrem, Madoucs, Salon verbunden war. Aus welchen Gründen auch immer übte Kylas ihren Dienst mit voller Hingabe aus, gleich, als sei es ihr Amt, Wacht über Madouc zu halten. Wohin auch immer Madouc sich wandte, der leuchtende schwarze Blick folgte ihr.
    Madouc sandte Kylas schließlich zu einem Botengang aus. Sie wartete, bis Kylas aus ihrem Blick entschwunden war, dann huschte sie aus dem Gemach und verließ mit dem Höchstmaß an Hurtigkeit, das mit ihrer Würde als königlicher Prinzessin vereinbar war, den Ostflügel.
    Wenig später fand sie sich in der großen Säulenhalle Falu Ffails wieder, die sich wie die Haidions über die gesamte Länge des Palasts erstreckte. In der Empfangshalle angekommen, näherte sie sich einem stattlichen jungen Unterkämmerer, angetan mit einer prächtigen grauen und grünen Livree und einer weichen flachen Kappe aus scharlachrotem Samt, die er sich keck über das rechte Ohr gezogen hatte. Er maß das schlanke Mägdelein mit den kupfergoldenen Locken und den himmelblauen Augen mit wohlgefälligem Blick und informierte es mit freundlicher Beflissenheit, daß weder König Aillas noch Prinz Dhrun bisher eingetroffen seien. »Prinz Dhrun wird bald hier sein; König Aillas wurde leider aufgehalten und wird wohl nicht vor morgen eintreffen.«
    »Wieso?« frug Madouc verblüfft. »Warum kommen sie nicht selbst?«
    »Das ist eine komplizierte Geschichte. Prinz Dhrun reist an Bord seines Schiffes
Nementhe
an, auf dem er als erster Offizier dient. König Aillas wurde offenbar in Domreis aufgehalten. Seine junge Königin ist im achten Monat schwanger, und es war zunächst fraglich, ob König Aillas überhaupt kommen würde. Aber wir haben frische Kunde erhalten, daß er unterwegs ist. Prinz Dhrun indes müßte jeden Moment eintreffen; sein Schiff ist heute morgen mit der Flut in die Cambermündung eingelaufen.«
    Madouc wandte sich um und ließ den Blick durch die Halle schweifen. Am fernen Ende führte ein Bogengang in ein Atrium, das durch hohe Oberlichter erhellt wurde. Zu beiden Seiten standen in langer Reihe, paarweise einander zugewandt, mächtige Statuen.
    Der Unterkämmerer beobachtete die Richtung von Madoucs Blick. »Ihr schaut in die Halle der Toten Götter. Die Standbilder sind sehr alt.«
    »Wie will man wissen, daß diese Götter tot sind? Oder wahrhaft tot, genau gesagt?«
    Der Unterkämmerer zuckte die Achseln. »Ich habe mich niemals eingehender mit dem Thema befaßt.
    Vielleicht ist es so, daß Götter, die nicht mehr verehrt werden, verblassen oder dahinschwinden. Die Statuen dort wurden von den alten Evadnioi angebetet, die den Pelasgianern vorausgingen. In Troicinet gilt Gaea noch heute als die Große Göttin, und am Strande bei Ys steht ein Tempel, der der Göttin Atlante geweiht ist. Möchtet Ihr sie Euch von nahmen anschauen? Ich habe noch einen Moment Zeit, bevor die nächste Gruppe von Würdenträgern eintrifft.«
    »Warum nicht? Kylas wird bestimmt nicht zurückkommen, um mich unter den ›Toten Göttern‹ zu suchen.«
    Der Unterkämmerer führte Madouc in die Halle der Toten Götter. »Schaut! Dort steht Cron, der Unerkennbare, und ihm gegenüber steht seine furchtbare Gemahlin Hec, die Göttin des Schicksals. Um sich die Zeit zu vertreiben, schufen sie den Unterschied zwischen ›ja‹ und ›nein‹; dann, als sie dieses Spiels schließlich überdrüssig wurden, verfügten sie den Unterschied zwischen ›etwas‹ und ›nichts‹. Als auch dieser Zeitvertreib seinen Reiz verlor, öffneten sie die Hände und ließen Materie, Zeit, Raum und Licht durch die Finger rieseln, bis sie schließlich genug geschaffen hatten, um ihr Interesse wachzuhalten.«
    »Alles schön und gut«, sagte Madouc. »Aber wo lernten sie diese schwierige und knifflige Kunst?«
    »Aha!« sagte der Unterkämmerer mit weiser Miene. »Eben da beginnt das Rätsel. Fragt man Theologen nach dem Ursprung von Cron und Hec, dann zupfen sie sich an den Bärten und

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