Macabros 022: Phantom aus dem Unsichtbaren
wurde sein Originalkörper
schwächer.
In dem Augenblick, da er bewußt oder unbewußt seinen
Doppelkörper aufgab, verdichtete sich die stoffliche Substanz
seines Originalkörpers wieder.
Hellmark war schwach und benommen, als er sich herumrollte.
Er hustete. Er begriff, daß etwas geschehen war, aber er
wußte nicht, was. Es war, als würde der Rauch seinen
Verstand blockieren.
Hellmark rutschte wie ein Wurm über den Boden, der die
Orientierung verloren hatte.
Instinktiv richtete er sich am Fenster auf.
Luft!
Seine Lungen verlangten nach Sauerstoff.
Björn Hellmark atmete hastig und flach, griff zitternd nach
der vorspringenden Fensterbank und zog sich daran hoch.
Das alles tat er mechanisch, ohne sich später daran erinnern
zu können. Er schob seinen Oberkörper über die
Brüstung und tastete nach den schlanken, hölzernen
Stützbalken, welche schräg nach innen zurückwichen und
eine Art Pergola oberhalb der Galerie bildeten.
Er hörte ferne Stimmen, Rufe, ohne zu begreifen, was gesagt
wurde.
Karren klapperten, Motoren waren zu hören.
Hellmark öffnete schwerfällig die Augen, und eine
mahnende Stimme in seinem Unterbewußtsein sagte ihm, daß
er etwas unternehmen mußte, um dieser Feuerbrunst zu
entgehen.
Wieso brannte es eigentlich, wie war er in diese Situation
gekommen?
Nur an ein Bild vermochte er sich zu erinnern.
Carmen de Silva wurde entführt, und in Gedankenschnelle
ließ er seinen Doppelkörper entstehen. Der Ruck in das
jenseitige Reich war so heftig erfolgt, daß sein
Originalkörper dabei die Besinnung verlor.
Er war in einer Herberge, deren Name ihm nicht sofort einfiel.
Er rutschte auf den Knien über die ächzende Galerie,
rappelte sich auf und taumelte blind vor Rauch auf die Brüstung
zu.
Er war zu schwach, konnte sich nicht auf den Beinen halten und
stürzte nach vorn.
Sauerstoffmangel.
In seinem Hirn blubberte es, als stiegen Blasen auf. Er sah
nichts, seine Ohren waren erfüllt von einem Rauschen und einem
kurzen, nahen Aufschrei.
»Da oben…! Da ist… doch jemand!« sagte jemand
auf spanisch, und die Worte klangen erschrocken.
Hellmark brach zusammen. Seine Hände rutschten über das
Holz, und er kassierte mehrere Splitter, die sich tief in seine Haut
bohrten. Aber sein Bewußtsein war so umnebelt, daß er den
Schmerz nicht spürte.
Das Zimmer hinter ihm stand in hellen Flammen. Aus den Fenstern
unter ihm leckten gierige Zungen.
Er wäre verloren gewesen, hätte ihn ein Dorfbewohner
nicht entdeckt.
Weitere Hilfskräfte und Armeeangehörige waren inzwischen
eingetroffen. Man hatte sie alarmiert, um die übereilte Flucht
aus dem Bergdorf zu beobachten und trotz aller ungeklärten
Fragen hier auszuharren und für Ruhe und Ordnung zu sorgen.
Eine Leiter wurde eilends herbeigebracht. Ein Uniformierter
kletterte an der Hauswand nach oben. Links und rechts züngelten
Flammen. Die Herberge war verloren, und auch der Fremde wäre es
gewesen, hätte man ihn nicht rechtzeitig entdeckt.
Man holte Hellmark von der gefährdeten Galerie. Keine Minute
später hätte es sein dürfen. Prasselnd fraßen
sich die Flammen weiter in das morsche Holz und erreichten die
Stelle, an der Björn Hellmark eben noch gelegen hatte.
Auf einer Bahre wurde der Bewußtlose zu einem Jeep
gebracht.
Die eingetroffenen Hilfsmannschaften hatten sich inzwischen so
weit organisiert, daß sie daran gingen, Löscharbeiten
einzuleiten.
Björn bekam von alledem nichts mit. Mit einer Rauchvergiftung
wurde er in ein Hospital nach Antequera gefahren, während in
Finjas wassergefüllte Eimer von Hand zu Hand gingen, um ein
Übergreifen der Flammen auf Nachbargebäude zu
verhindern.
Die Soldaten und die Männer des Hilfscorps taten alles, was
in ihren Kräften stand. Erstaunlich war, daß niemand aus
dem Ort sie unterstützte, den Einwohnern Finjas’ schien es
völlig egal zu sein, was aus ihrem Geburtsort wurde.
*
Jean Baptiste Renion war fasziniert von der jungen, hübschen
Person, die ihn empfing. Ein solches Mädchen hätte er hier
in der Abgeschiedenheit der Pyrenäen nicht erwartet.
Das Licht über dem Eingang des abseits stehenden Hauses lag
rötlich-gelb auf ihrem Gesicht und zeichnete ihre Züge
besonders weich und sanft.
Sie tat einen Schritt zur Seite. Sie trug einen langen
weitgeschnittenen Rock, in dem sie größer wirkte, als sie
war.
»Sie sind Señora Sallas?« fragte er erstaunt.
»Ich wußte nicht, daß Manuel Sallas verheiratet
ist.«
»Ich bin seine Schwester«,
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