Macabros 022: Phantom aus dem Unsichtbaren
nach dem Tod meines Mannes zu erwarten hatte, konnte ich ein
freies, sorgloses Leben führen. Gemeinsam mit meinem Geliebten.
Durch ihn wurde mir das Tor zu Orloks Welt geöffnet, und ich
erkannte, wie armselig mein Leben bisher gewesen war und was ich
erreichen konnte, wenn ich Orloks Wille erfüllte. Ich wurde zur
Mörderin! Niemand konnte mir etwas nachweisen. Das Gift im
Körper des Toten war nicht festzustellen. Für die
Ärzte und für Außenstehende war mein Mann an seiner
Krankheit gestorben. Von nun an manipulierte ich mit Hilfe meiner
magischen Fähigkeiten viele Ereignisse in der Nachbarschaft und
machte andere von meinem Willen und meinem Wollen abhängig. Ich
war bereit, dafür die Konsequenzen zu tragen: einmal in Orloks
Reich einzukehren und ihm für alle Zeiten zu Diensten zu sein.
Ihm gehörte meine Seele. Ich war der Meinung, daß diese
Abmachung für die Zeit nach meinem Tod keine große
Bedeutung hätte. Was zählte, war die Gegenwart, war das
Jetzt, das Leben auf der Erde. Es war ein erhebendes Gefühl,
mächtig zu sein und andere wie Marionetten zu bedienen. Dann kam
die Stunde, in der Orlok seinen Tribut forderte. Ich starb und
wußte, daß bei mir etwas anders sein mußte, als bei
anderen, die aus diesem Leben schieden. Meine sterbliche Hülle
hielt mein Bewußtsein fest. Ich konnte mich selbst in der
Leichenhalle liegen sehen, brachte es aber nicht fertig, die letzte
Verbindung zu meinem toten Leib zu lösen. Zum ersten Mal lernte
ich eine Panik kennen, die unbeschreiblich ist. In der Nacht nach der
Beisetzung hörte ich den Ruf. Ich verließ mein Grab. Ich
lebte nicht, ich war aber auch nicht tot, aber ich hatte kein Recht
mehr, in der Welt der Lebenden zu sein. Wie ein eisiger Wind fuhr ein
unbekannter Hauch durch mein Innerstes. Mein Blut zirkulierte nicht
mehr, ich empfand keine Wärme mehr. Viele Tage war ich
unterwegs, genauer gesagt: in den Nächten. Tagsüber verbarg
ich mich in unzugänglichem Gelände. Ich hatte nur ein Ziel
im Sinn: ich mußte zum Tor in das Jenseits. Ich wußte, wo
es lag, obwohl ich es nie zuvor besucht und gesehen hatte. Ich
mußte eine besonders lange Reise machen, ich kam aus einem
anderen Land. Ich mußte mit einem Schiff oder einem Flugzeug an
jenen Ort kommen, wo es den Eingang für die Sterblichen in
Orloks Reich gab. Ich machte mir andere zu Handlangern, erreichte
dieses Land und passierte das Tor in das Jenseits. In Orloks Reich
wurde ich erwartet, von all den anderen, die gleich mir einen Pakt
mit dem Unsichtbaren geschlossen hatten. Zu allen Zeiten und in allen
Völkern gab es Menschen, die über
außergewöhnliche und übersinnliche Kräfte
verfügten. Man nannte sie in der Vergangenheit Zauberer und
Magier, Medizinmänner, später dann waren es die sogenannten
Hexen. Im Urteil der Menschen bin auch ich eine Hexe. Ich habe mit
Jenseitigen einen Pakt geschlossen – und mich verkauft. Als
dieser Teil des Vertrages eintrat, wurde mir bewußt, was es
hieß, sich darauf eingelassen zu haben. Für alle Zeiten
hieß es, von nun an geknechtet zu sein. Orlok bestimmte. Ihn
hatte man ständig vor Augen. Eine Hoffnung ließ er uns
wissen, eines Tages würden wir wieder unter den Lebenden weilen.
Wenn die Zeit reif sei. Diese Zeit ist nun gekommen. Orlok kann seit
geraumer Zeit jede Einzelheit im Diesseits beobachten. Ein
Sterblicher hat ihm etwas gebracht, womit er jederzeit jeden Punkt
der Erde beobachten kann. Damit kann er gezielt neue Opfer holen und
ist nicht mehr darauf angewiesen, durch seine dienstbaren Geister
Kontakte zu Personen zu suchen, die bereit sind, sich und ihre Seelen
zu verkaufen. Das Heer der Untoten liegt auf der Lauer. Es ist nur
noch eine Frage der Zeit, bis er sie alle in diese Welt schleust, um
Angst und Verwirrung zu stiften und Orlok einen Teil dieser Welt auch
sein eigen nennen kann. Nun weißt du mehr, als mancher andere
ahnt. Du bist gewarnt! Nun laß’ mich gehen!«
»Ich will noch mehr wissen.«
»Was noch?«
Björn fragte gezielt nach Einzelheiten der Orlok-Welt. Es
konnte nicht schaden, noch mehr zu wissen.
»Der Gegenstand von dem du gesprochen hast«, sagte er
plötzlich, »wie sieht er aus, wie nennt Orlok
ihn?«
»Er nennt ihn ’das Auge’.«
»Und erst seitdem er das ’Auge’ besitzt, kann er
diese Welt hier kontrollieren?«
»Er kann sie besser kontrollieren als zuvor. Da war er auf
die Kontaktaufnahme jener angewiesen, die den Weg zu ihm
suchten.«
Björn wollte mehr über Orlok wissen, aber die
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