Macabros 035: Mirakel, Mann der Geheimnisse
sich nun
erfüllt: die Verschwundene hat angeblich angekündigt,
daß weitere ihr folgen werden.
Gert Kassner scheint der erste zu sein. Mord ist ausgeschlossen.
Hier in diesen abgesperrten Raum konnte niemand eindringen. Kassner
hat Selbstmord begangen, das steht hundertprozentig fest. Warum aber
hat er ihn begangen? Hatte er Sorgen? Drückte ihn ein
Schuldenberg? Ärger mit seiner Frau kann er nicht gehabt haben.
Er war nicht verheiratet. Oder was für ein Motiv gibt es noch,
das er gehabt haben könnte? Unterschlagungen?
Das alles werden wir herausfinden. Vom Portier und dem
Zimmerkellner wissen wir, daß Kassner, der hier Stammgast war,
sich verhielt wie immer. Er hatte gestern abend noch darum gebeten,
seine Rechnung fertig zu machen und das Frühstück wie immer
um halb sieben auf den reservierten Platz im
Frühstückszimmer zu stellen. Hier in seinem
Geschäftsbuch finden wir genau jene Personen aufgeführt,
die Kassner im Lauf des heutigen Nachmittags aufzusuchen
beabsichtigte.
Es ist alles fein säuberlich notiert, und es gibt –
zumindest können wir aus dem, was wir bis jetzt festgestellt
haben, diesen Schluß ziehen – nicht den geringsten
Anhaltspunkt dafür, daß Kassner lebensmüde war. Er
begeht Selbstmord. Einfach so. Was für einen Grund hat er
gehabt? Hat er den Ruf gehört von dem Terry White gesprochen
hat? Dann muß die Frau eventuell noch mehr wissen. Kassner war
ein Zeuge des Vorfalls in dem Geschäft, wo Liane Martens
verschwand. Wenn sich hier wirklich Kräfte zeigen, die wir mit
unserem kleinen Verstand nicht fassen können, dann müssen
wir damit rechnen, daß Liane Martens’ Geist weitere
seltsame Dinge provoziert, von denen wir im Moment keine Ahnung
haben. In diesem Fall aber wären auch die beiden anderen Zeugen
bedroht. Elisabeth Gesan und Margarete Tessner wären in diesem
Fall die nächsten, denen etwas zustößt!«
Er hatte noch den Namen der Kollegin von Liane Martens und den der
Kundin im Kopf.
*
Elisabeth Gesan war froh, als es halb sieben war und die
Türen des Ladens geschlossen wurden.
Sie fühlte sich nicht ganz wohl, hatte Kopfschmerzen und
wäre am liebsten einige Stunden früher nach Hause gegangen.
Aber da zwei Angestellte sich in Urlaub befanden, wurde hier jede
Hand gebraucht.
Elisabeth Gesan schloß ihre Kasse ab und zog sich dann an.
Mit ihren Kolleginnen sprach sie nur wenig, weil das Reden sie
anstrengte.
»Du siehst wirklich angegriffen aus«, sagte eine zu
ihr.
»Ein bißchen abgespannt, das ist alles. Es gibt anderes
Wetter. Das liegt mir in den Knochen. Wenn man sechzig ist, dann hat
man aber auch jeden Tag ein anderes Wehwehchen. Ich leg mich heute
abend früh ins Bett. Morgen früh bin ich wieder
fit.«
Sie fuhr mit der Straßenbahn nach Hause. Dort wohnte sie im
Hause einer Siedlungsgesellschaft. Es handelte sich um eine kleine,
gemütlich eingerichtete Zwei-Zimmer-Wohnung, die im ersten Stock
lag.
Es war acht, als sie sich ein Käsebrot belegte und eine Tasse
Milch heiß machte.
Um halb neun kleidete sie sich aus.
Sie löschte das Licht im Wohnzimmer.
»Hallo, Frau Gesan«, sagte da eine vertraute Stimme zu
ihr.
Elisabeth Gesan fuhr zusammen und preßte ihre Hände auf
das Herz, das wie rasend zu schlagen begann.
Diese Stimme!
»Liane?!« Die Frau warf den Kopf herum. Auf dem Sessel
vor ihr saß eine junge, schlanke Person, die sich langsam in
die Höhe drückte.
Elisabeth Gesan tastete mit zitternden Fingern nach dem
Lichtschalter und drückte ihn herab. Die Deckenleuchte flammte
auf. Das Zimmer war sofort hell erleuchtet.
»Liane? Mein Gott – ich habe Fieber, ich sehe etwas, das
nicht sein kann. Ich habe dich doch eben noch nicht
gesehen…«
Die Worte sprudelten nur so über ihre bleichen, zitternden
Lippen, und sie wußte in diesen Sekunden gar nicht, was sie
eigentlich sagen sollte.
»Ich bin auch eben erst gekommen, Frau Gesan.«
»Wie kommst du hier herein? Du kannst nicht wirklich sein. Du
bist nicht durch die Tür gekommen…« Elisabeth Gesan
schnappte nach Luft. Ihre Brust verengte sich wie unter dem Druck
einer gewaltigen Hand. »Du kamst durch die Wand – wie du
durch die Wand gegangen bist – im Geschäft – ich habe
dich gesehen – du stehst mit dem Teufel im Bund,
Liane!«
Sie lächelte. Sie war bildschön. »Nicht mit dem
Teufel, Frau Gesan – mit Rha-Ta-N’my!«
»Rha-Ta-N’my… Liane, wovon sprichst du? Ich
weiß nicht, wovon du redest.«
»Sie werden mich verstehen, wenn Sie bei mir sind.
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