Macabros 047: Formonatio - Welt des Unheils
Übermacht war kein normaler Mensch gewachsen.
Ehe er die Besinnung verlor, fragte er sich weshalb dieser
beachtliche Aufwand an Gegnern erfolgt war. Zehn, fünfzehn
Stück hätten doch auch gereicht, sie beide
kampfunfähig zu machen und gefangen zu nehmen.
Warum Hunderte, warum Tausende, die gleichzeitig, wie einem
stummen Befehl folgend, aus ihren Verstecken stürmten, um sie zu
Fall zu bringen?
Ameisen und andere Insektenarten mochten vielleicht auf diese
Weise reagieren, wenn sie sofort in großer Zahl auftauchten, um
einen Gegner zu vernichten.
Die Menschen hier reagierten wie die Ameisen! Auf dieser Welt
schienen die Uhren verkehrt, wenn nicht gar anders herum zu
gehen.
*
Dunkelheit umfing ihn, und er wußte nichts mehr von sich.
Unbekannt war ihm das Schicksal der entführten Janita Mooney,
unbekannt war ihm sein eigenes.
Die dunkel gekleideten Gestalten, die denen glichen, die in voller
Montur aus den riesigen Bäumen gegen die Großameisen
kämpften, verschwanden in den zahllosen Löchern, sowohl in
den Treppen als auch in den Säulenbeinen und dem Schwanzende der
Titanstatue.
Die Öffnungen schlossen sich lückenlos, als würde
sich keine Tür schließen, sondern der schwarze Fels
zusammenwachsen wie eine Wunde.
*
Ein Mann ging durch die Dunkelheit.
Dieser Mann war Chas Morgan.
Aber nicht allein der Bewußtseinsinhalt Chas Morgans war es,
der das Hirn dieses kräftigen, braunhaarigen Mannes
erfüllte – auch Gedanken und Überlegungen Björn
Hellmarks waren vorhanden, der seine wahre Identität wieder
entdeckt hatte.
Die Begegnung mit Asymeda, der göttlich-schönen vierten
Tempeldienerin aus Tschinandoah, hatte seine Vorstellungen
gefestigt.
Aber auch Zweifel erfüllten ihn.
War die Begegnung mit Asymeda in der Vakuole des Lichts eine
Tatsache – oder gehörte sie mit zu den Ereignissen, die das
unfaßbare Blutsiegel aufgrund der Gedanken des
Dämonenfürsten zu entwickeln imstande war?
Was war Vorstellung, was war Halluzination, was Vision – was
Wirklichkeit?
Björn konnte sich nicht daran erinnern, je in einer
ähnlichen Lage gewesen zu sein. Seit sein Leben als Macabros
begonnen hatte, war er mit manch schwierigem und gefährlichem
Problem konfrontiert worden. Doch so aussichtslos und undurchsichtig
war seine Lage nie vorher gewesen.
Führte Molochos ihn – um seine tausend Foltern
auszuprobieren – durch ein Labyrinth von Grauen und
Ängsten, um ihm irgendwann schließlich den
Gnadenstoß zu versetzen? Riß er ihn zwischen Hoffnung und
Verzweiflung hin und her – und war es seine Absicht, daß
Hellmark sich praktisch selbst zerfleischte? Sollte so sein Ende
aussehen?
Dieser Gedanke lag näher als die Hoffnung auf eine Rettung
oder einen Gnadenstoß Molochos’. Gnade – von einem
Fürsten der Finsternis zu erwarten, das war wohl eine Illusion,
der man sich vergebens hingab. Der Begriff Gnade kam in
Molochos’ Wortschatz nicht vor.
Äußerlich sah man Chas Morgan als Björn Hellmark
nicht an, welche Gedanken ihn erfüllten.
Konnte er wieder die Freiheit erringen, die er brauchte, um
Hellmark zu sein? Gab es wirklich eine Chance, die
Körperlichkeit und die Identität Chas Morgans abzustreifen,
die ihm anhaftete und die kein reiner Traum war. Molochos hatte ihn
dazu verbannt, in seinen Träumen eine Gestalt zu sein. Er war
diese Gestalt, aber er war sie nicht mehr so bedingungslos wie ganz
zu Beginn.
Zufall oder Absicht?
Auch das wußte er nicht.
Er konzentrierte sich auf das dumpfe Pochen in der Dunkelheit und
ging dort hinein.
Er passierte Gänge, zweigte an Weggabelungen ab und suchte in
dem großen Raumschiff, das eine Welt für sich war, nach
etwas, das ihn hierhergelockt hatte.
Molochos wollte Ergebnisse sehen. Und nichts von dem, was
passierte, geschah ohne Sinn.
Er mußte an die Warnungen Asymedas denken: »Was in der
Traumwelt des Blutsiegels passiert – geschieht auch in
Wirklichkeit. Schicksale, die sich hier entscheiden, entscheiden sich
auch anderswo…«
Auch wenn er nicht genau verstand, wie sie das meinte, fühlte
er doch, daß er sehr auf sich aufpassen mußte, um jede
Falle Molochos’ rechtzeitig zu erkennen.
Er kam in eine große, runde Halle, in der ein
fluoreszierendes Glühen vorherrschte, das ein eigenwilliges,
gespenstisches Dämmerlicht bewirkte.
Aber das war keine Räumlichkeit mehr, wie man sie in einem
Raumschiff annehmen konnte.
Hellmark meinte, sich in eine große, feuchte Höhle
verirrt zu haben.
Die Höhle hatte
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