Macabros 058: Oceanus, Geist der schwarzen Wasser
schufen Unterbrechungen, um das
Auge von der Weite der Halle abzulenken. Die Stalagmiten, die von der
Decke herabhingen, wuchsen gewaltig und bedrohlich aus dem
Gewölbe, so daß man meinte, im Innern einer Höhle zu
sein, die aus einem Diamant von der Größe eines Planeten
geschnitten worden war.
Das Gestein war nicht leblos, schmutzig und nicht stumpf. Es
lebte, glitzerte und schillerte in tausend Farben von der Reinheit
eines Brillanten.
Die Umgebung war überwältigend in ihrer Größe
und Fremdartigkeit.
Die Vielfalt war unmöglich in kurzer Zeit zu erfassen.
Macabros nahm sich dennoch Zeit und beschäftigte sich mit
Details, in der Hoffnung, einiges zu erkennen, das ihm über
Oceanus und dessen rätselhafte Welt Aufklärung brachte.
Für ihn gab es keinen Zweifel: diese gigantische
Unterwasserburg, deren Äußeres dem geheimnisumwitterten
Amulett glich, war Oceanus’ Behausung! Er hatte gefunden was er
suchte. Aber: wo war Oceanus jetzt? Ihm mußte er begegnen.
Sein Blick schweifte in die unübersehbare, phosphoreszierende
Tiefe und Weite der Burg, die aus Gewölben, Durchlässen und
Bögen bestand, riesige Hallen, in denen sich bequem die
größten Wale tummeln könnten. Alle Hallen waren halb
mit Wasser, halb mit Luft gefüllt.
Die unzählbaren Reliefs, an denen ebenso unzählbare
Generationen gearbeitet haben mußten, erzählten die
Geschichte vieler Völker und Wesen, die irgendwann mal in der
Morgenstimmung der Urerde existierten, die zum Teil danach
verschwanden. Und nun zeigten sie sich wieder, um mit Macht
zurückzukehren und das Dasein zu verändern.
Die Reliefs und kilometerlangen Bildreihen, in der
phosphoreszierenden Tiefe verschwindend, erzählten Mythen und
Epen.
Fabelwesen kämpften miteinander. Aus glutflüssigen
Lavameeren stiegen Magma-Bestien, aus Feuer und Rauch bestehend und
zerrten die Feinde in die Tiefe. Kampf, Vergehen… Krieg seit
Urbeginn der Zeiten. Zu Lande, im Wasser – und in der Luft. Da
stürzten sich unheilvoll aussehende Flugsaurier auf urwelthafte
Menschen, die in wilder Panik flohen. Bizarre Dämonen, aus dem
Schoß des Schattens und den äußersten Winkeln
unbekannter Kontinente, die im Werden begriffen waren, geboren,
vollführten wilde Tänze und erbauten
furchteinflößende, nicht minder bizarre Städte.
Macabros meinte, Bilder aus anderen Dimensionen zu sehen,
Eindrücke von einem anderen, grausamen Stern zu empfangen.
Geister und Dämonen standen im Mittelpunkt der Kämpfe
und Riten.
Da waren riesige Wälder zu sehen, in denen sich titanenhafte,
Angst und Tod verbreitende Rieseninsekten und Echsen aufhielten. Da
gab es Schuppenwesen, die wie Menschen auf zwei Beinen liefen, aber
sonst keinerlei Ähnlichkeit mit Menschen hatten.
Und dann – inmitten eines gespenstisch beleuchteten Wassers
– entdeckte Macabros zum ersten Mal eine Darstellung des
Oceanus.
Er mußte es sein! Deutlich und klar war jetzt das gewaltige
Wesen zu sehen, das Brenda Sitgens nur verschwommen auf ihren Film
hatte bannen können.
Ein Riesenfischleib, versehen mit Menschenarmen und einem
Fischkopf. Oceanus thronte inmitten eines Sees, der in allen Farben
schimmerte. Oceanus war der Herr eines Volkes, das ihm Ehre und Huld
bezeigte.
Hier schien ein unbekannter Künstler eine Szene im Leben der
großen Meeresrasse festgehalten zu haben, die schon existierte,
als der Mensch sich noch nicht entwickelt hatte.
Der König über dieses Volk war mit den Insignien seiner
Macht ausgestattet, die er in seinen mit Schwimmhäuten
bewachsenen Händen hielt.
Er trug eine Krone und einen weiten, kostbar bestickten und mit
seltenen Muscheln besetzten Umhang. Die Berater des Meeresherrschers
saßen auf kleineren Thronen, die im Halbkreis um den
künstlichen See standen, über den sich eine goldene Kuppel
spannte, in dem in einem noch tieferen Goldton geheimnisvolle Szenen
aus dem Leben dieser Rasse dargestellt waren.
Auf dem See, der sich offensichtlich auch innerhalb dieser
gigantischen Unterwasserburg befand, fand eine Prozession von
atemberaubender Vielfalt und Farbigkeit statt. Auf geschmückten
flachen Nachen wurden Spiele vorgeführt. Die Akteure
gehörten nicht nur allein der Meeresrasse an: da waren Fremde zu
sehen, die auf einem anderen Planeten geboren schienen oder aus
anderen Dimensionen stammten.
Die Größe und Nähe und die hervorragende
Ausgestaltung der Fischgeschöpfe machte es Macabros möglich
festzustellen, daß diese Wesen gar keine Kiemen mehr hatten.
Sie waren
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