Macabros 074: Krypta der Regenbogen-Menschen
weinend und völlig ermattet in
seinen Armen, und er riß sie empor, trug sie über die
Wiese, über die Straße, hinüber zum Haus, wo die
Tür nur eingeklinkt war. Er konnte sie öffnen, indem er die
Türklinke herabdrückte.
Im Gegensatz zu vorhin, war Betty Lindon jetzt völlig
apathisch und ließ alles mit sich geschehen.
Hellmark fragte sie, wohin er sie bringen solle, wo sich ihr
Zimmer befand. Doch er erhielt darauf keine Antwort. Die Farmersfrau
starrte mit leerem Blick einfach an ihm vorbei, und ein
merkwürdiges Lächeln lag um ihre Lippen, die manchmal
zuckten, als wolle sie etwas sagen. Und dann kam doch kein einziges
Wort.
Björn Hellmark legte Betty Lindon kurzerhand auf eine Couch
im Wohnzimmer, nahm eine Wolldecke von einem der schweren, bequemen
Sessel und warf sie über sie. Betty Lindon hatte
Schüttelfrost. Ihr schlugen die Zähne aufeinander.
Björn versuchte erneut sein Glück, die Frau
anzusprechen. »Wer ist Ihr Arzt, Mrs. Lindon?« Hellmark
beugte sich über sie, legte beruhigend seine Hände auf die
Schultern der schmalen und doch so robust wirkenden Frau und wandte
nicht den Blick von ihr. »Bitte – so antworten Sie mir
doch.« Sie schien ihn überhaupt nicht zu hören.
Hellmark blieb nichts anderes übrig, als selbst die
Initiative zu ergreifen.
Es war auch seltsam, daß sich offensichtlich außer
Betty Lindon niemand in dem großen Haupthaus der Farm
aufhielt.
Obwohl Björn Hellmark lautstark rief, meldete sich
niemand.
Draußen im Korridor stand ein handgearbeitetes
Schränkchen, darauf das Telefon. Auf einer Ablage unmittelbar
darüber lagen die Telefonbücher und ein kleines schwarzes
Buch, in dem private Telefonnummern eingetragen waren.
Dies nahm Björn sich zuerst vor. Und er hatte Glück.
Gleich links auf der Innenseite des Umschlages klebte ein Zettel,
auf dem drei Namen und Telefonnummern notiert waren.
Offensichtlich handelte es sich um nahe Verwandte und um andere
wichtige Personen. Vor dem untersten Namen stand der Titel
Doktor.
Hellmark hatte sich also nicht getäuscht. In einem Haus wie
diesem bestand eigentlich nicht der geringste Zweifel, daß hier
regelmäßig ein Arzt verkehrte, der genau über die
Sorgen und Krankheiten der Familie Bescheid wußte.
Glück war nur, daß Björn auf Anhieb die Nummer
dieses Arztes entdeckte.
Der Deutsche griff nach dem Hörer und wählte mit ruhiger
Hand, während er rasch einen Blick zur Couch
hinüberschickte, wo Betty Lindon noch immer reglos lag.
Zweimal schlug das Telefon auf der anderen Seite der Strippe an.
Dann meldete sich der Teilnehmer.
»Dr. Gladson…«
»Hier spricht Björn Hellmark. Ich melde mich von Mr.
Lindons Farm. Bitte kommen Sie schnell, Doktor! Mrs. Lindon geht es
nicht gut…«
»Was ist mit ihr? Und wer sind Sie, Mr. Hellmark?«
wollte die dunkle Stimme im Hörer wissen.
»Was mit ihr ist, kann ich nicht sagen, Doc. Ich
fürchte, sie hat einen Nervenzusammenbruch erlitten. Außer
mir hält sich hier niemand auf. Ich bin zufällig
vorbeigekommen und habe Mrs. Lindon tobend, schreiend und
zornerfüllt auf der Wiese jenseits der Straße entdeckt.
Ich habe sie sofort ins Haus gebracht. Sie ist jetzt ganz
ruhig.«
»Es ist gut. Vielen Dank, Mr. Hellmark! Ich mache mich sofort
auf den Weg. In spätestens zehn Minuten bin ich drüben auf
der Farm.«
*
Er brauchte nur acht Minuten. Er mußte wie ein Irrsinniger
gefahren sein.
Mit zerzaustem Haar und offener Jacke stürmte er ins
Haus.
Er war so in Eile, daß er sich nicht mal die Zeit nahm, die
Autoscheinwerfer auszuschalten.
Björn Hellmark hatte das sich nähernde Fahrzeug
gehört, lief zur Tür, öffnete und prallte fast mit dem
Arzt zusammen.
»Wo liegt sie?« fragte Dr. Gladson rasch. Er schien
genau zu wissen, was mit Mrs. Lindon los war.
»Vorn im Wohnzimmer auf der Couch.«
Schon war der Doc an ihm vorüber. Der Duft eines dezenten
Rasierwassers haftete ihm und seiner Kleidung an.
Dr. Gladson war Anfang Dreißig, dunkelhaarig und von
kräftiger Statur. Man hätte ihn eher für einen
Leistungssportler gehalten als für einen Mediziner.
Dr. Gladson prüfte Herzschlag und Puls der Farmersfrau und
sprach Betty Lindon mehrere Male mit ihrem Namen an, ohne daß
sie jedoch auf diesen Anruf reagierte.
Gladson seufzte, während er eine Spritze aufzog. »Ich
hatte mit einem solchen Zwischenfall nicht gerechnet«,
konstatierte er gedankenversunken, Hellmark einen raschen Blick
zuwerfend. »Nach all dem, was in der Vergangenheit
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