Macabros 074: Krypta der Regenbogen-Menschen
voll in
seinen Bann zog und er keine Zeit für sie erübrigen
konnte.
Aber Pepe hielt es nicht für gefährlich, jetzt einen
Sprung zu jener Stelle zu machen, von der Björn ihm zuletzt
erzählt hatte.
Er hatte die Absicht gehabt, zwischen Baltimore und Sykesville
aufzutauchen. Dies allerdings mit dem Geistspiegel, weil er dadurch
erwartete, direkt in das Herz eines gefährlichen Geschehens
getragen zu werden.
Davon machte auch Pepe jetzt Gebrauch.
Er lief zu dem ›Geistspiegel‹ in unmittelbarer Nähe
der Geisterhöhle und sprang in die schimmernde Fläche. Wie
alle auf Marlos trug auch er seit der Entdeckung der geheimnisvollen
Blüten im Garten des Hestus jenes halbmondförmige, wie aus
einem feingeblasenen Glas bestehende Gebilde an einem Kettchen am
Hals.
Die geheimnisvolle Kraft, die der riesigen Spiegelfläche
innewohnte, wirkte sich auf Pepes Organismus aus. Wie zuvor
Björn Hellmark so wurde auch Pepe zu einem feinen Nebelstreif,
der in einer der winzigen Öffnungen verschwand, um an jenem Ort
anzukommen, wo Björn kurz zuvor eingetroffen war.
Als die Welt um dem Jungen neu erstand, fand er sich mitten auf
einer Wiese wieder.
Dunkelheit und Einsamkeit umgaben ihn.
Er sah sich in der Runde um. Hier sollte Björn sein?
Das war sein letzter Gedanke.
Der regenbogenfarbene Schleier tauchte plötzlich über
ihm auf.
Pepe, der noch der Meinung war, daß das seltsame Gebilde
vielleicht mit dem Übergangsphänomen zusammenhing,
daß jeder, der den Spiegel benutzte, dies zu sehen und zu
spüren bekam, war mehr als erstaunt, als er erkannte, daß
das Gebilde sich nicht verflüchtigte, sondern –
verstärkte.
Der kluge Junge, der über parapsychische Fähigkeiten
verfügte, in dessen Gegenwart sich oft ohne seinen
erklärten Willen Bestecke verbogen, Glühbirnen platzten und
Rolltreppen in Kaufhäusern stehen blieben, merkte sofort das
Ungewöhnliche der Situation.
Zurück, grellte es in seinem Bewußtsein auf.
Hier an dieser Stelle, wo er angekommen war, mußte es
normalerweise sofort funktionieren. Er brauchte nur das
halbmondförmige Gebilde, das an seinem Hals hing, zu
berühren.
Aber es reagierte einige Sekunden zu spät.
Wie von einem gewaltigen Sog wurde er nach vorn gerissen.
Pepe taumelte, merkte, wie er den Boden unter den Füßen
verlor, und spürte plötzlich nichts mehr.
Er schwebte.
Er versuchte, seinen Körper, seine Bewegungen wieder unter
Kontrolle zu bringen.
Aber er hatte keine Möglichkeit dazu. Es gab keine
Bodenfläche, auf der er davonrennen konnte.
Er fiel immer tiefer wie in einen schwarzen, brüllenden
Schacht, in dem sich plötzlich hektische, schnell aufflammende
Lichter in allen Farben zeigten, so daß er meinte, von dem
Regenbogengebilde völlig eingesponnen zu sein, das er
unmittelbar nach seiner Ankunft aus Marlos registrierte.
Pepe wußte nicht mehr, was oben und unten war, hätte
auch nichts auszusagen vermocht über seine Geschwindigkeit, und
wie in Trance war ihm das Gefühl für die Zeit völlig
verloren gegangen.
Ein gewaltiger Druck lag auf seinem Hirn. Es schien, als
hätte er hohes Fieber, weil er sich plötzlich so heiß
und schwach fühlte.
Das endlose Fallen ins Nichts hörte nicht, auf. Es kam weder
ein Gefühl der Angst auf, nichts machen zu können an dem,
was sich hier abspielte. Es war eine einzige große Lethargie,
die ihn völlig gefangen nahm.
Hätte jemand diesen Zwischenfall beobachtet, er wäre
für die Augen desjenigen genauso gewesen wie in jener Stunde,
als Jennifer Arnes unter den Blicken ihres Begleiters Percy Morgan
verschwand.
Auch Pepe versank im Boden und wurde von einer Sekunde zur anderen
nicht mehr gesehen. Er war in das rätselhafte Nichts gefallen,
in jenes Loch zwischen zwei unterschiedlichen Universen, die aus
unerfindlichen Gründen sich immer wieder zu bisher
unberechenbaren Zeiten hier im Gebiet der Lindonfarm
berührten.
Es war die Stelle, an der auch Goldie, die zwölfjährige
Tochter der Lindons, verschwand.
Pepes Sinneseindrücke verlöschten wie eine Kerze im
Wind.
Er befand sich nicht mehr in der Welt, in die er gekommen war, und
Camilla Davies wartete eine Zeitlang auf seine und Björns
Rückkehr, bis ihr bewußt wurde, daß dem Jungen etwas
zugestoßen war.
*
Rani Mahay mußte nicht lange warten. Seine Geduld wurde
nicht auf eine außergewöhnliche Probe gestellt.
Der Inder hielt sich im Kernschatten des gegenüberliegenden
Hauses auf und ließ das kleine Geschäft in der engen Gasse
nicht aus den
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