Macabros 075: Ustur - In den Ketten des Unheimlichen
geisterhafte Erscheinung erstand der Leib vor ihren Augen
im Innern des Kreises, den die Augen des Schwarzen Manja
bildeten.
Aus dem Dunst schälte sich eine Gestalt, die mehr und mehr
materialisierte. Die nebelförmigen Umrisse nahmen Struktur und
Gestalt an und wurden feste Materie.
Es war ein hochgewachsener Körper, zu dessen Füßen
die Leiche lag.
Molochos war von hagerer Gestalt und ganz in Schwarz
gehüllt.
Das Gewand war hochgeschlossen und reichte bis über seine
Fußspitzen, so daß es den ausgestreckten Arm des Toten
noch berührte. Molochos’ Kopf war von einer schwarzen,
enganliegenden Kappe bedeckt. Nur das Gesicht -Augen, Nase und Mund
und die Hälfte der Wangen war frei und bildete ein weißes,
sich hervorhebendes Dreieck, an diesem sonst ganz in Schwarz
gehaltenen Körper.
Molochos in seiner wahren Gestalt!
Es war das erste direkte Zusammentreffen zwischen Björn
Hellmark und seinem Todfeind, der Heere von Geistern und Dämonen
befehligte, und in dieser Welt offensichtlich doch noch nicht so
stark geworden war, wie er es sich selbst wünschte.
Molochos war Mensch und Dämon. Als Mensch hatte er
dämonisches Leben erlangt. Rha-Ta-N’my, die furchtbare
Dämonengöttin, hatte ihrem ergebenen Diener den Status
eines Dämons eingeräumt. Der Name Molochos tauchte auf in
der Liste der sieben Haupt-Dämonen. Die Gesichter dieser
Dämonen und Dämoninnen hatte Björn zum ersten Mal in
ihrer Gesamtheit im magischen Garten des Hestus gesehen, wo sie wie
Luftballons über einem Tempel des Hestus schwebten. In riesigen
Blasen waren die Konterfeis der gefährlichen Gegner eingefangen,
als sollten sie ihm die Möglichkeit geben, sie dadurch jederzeit
wieder zu erkennen.
Björn Hellmark löste sich von Marga Koster und
näherte sich dem Kreis, in dessen Mitte der
Dämonenfürst stand, ohne auch nur einen Finger rühren
zu können oder einen Schritt vorwärts zu gehen.
Er stand da wie eine Statue.
Im ersten Moment konnte man auch meinen, daß die Gestalt aus
Marmor gemeißelt war. Nur der fiebrige Glanz in den Augen und
die leicht zitternden schmalen Lippen Molochos’ zeigten,
daß der Dämonenfürst von Leben erfüllt war.
Die beiden so ungleichen Männer standen sich gegenüber
– Molochos im Innern des Kreises, Björn Hellmark
außerhalb. Ihre Blicke trafen sich.
»Die Stunde der Wahrheit«, murmelte Björn. Im
Bruchteil einer Sekunde passierten zahllose Erlebnisse, Abenteuer,
Erfahrungen und Gedanken sein geistiges Auge. Seit er Kenntnis von
Molochos hatte, war so viel geschehen. Aus dem Unsichtbaren hatte der
Fürst der Dämonen versucht, sowohl aus eigener Kraft und
mit Hilfe seiner auf die Erde eingeschleusten Schergen, Björn
Hellmark den Garaus zu machen. Wie oft hing da sein Leben nur an
einem seidenen Faden. Wie oft hatten seine Freunde oder
glückliche Umstände die entscheidende Wende zugunsten
Molochos’ verhindert.
Und nun – diese alles bedeutende Begegnung mit jenem, der
sich die Erde unterwerfen wollte, der Eingang zu finden versuchte in
das Reich der Toten, um auch die Seelen der Menschen an ihrer
Weiterentwicklung zu hindern. Was würde diese Begegnung
bringen?
Björn dachte an das ›Buch der Gesetze‹… und an
die telepathischen Gespräche mit seinem Geistfreund Al Nafuur.
Durch sie wußte er, daß sieben Augen des Schwarzen Manja
der Schlüssel waren, um hinter das Geheimnis von Molochos zu
kommen.
»Ich glaube, wir beide haben viel zu
besprechen…«
Molochos wandte den Blick nicht von Hellmarks Augen. Konnte er es
nicht, befand er sich wie in einem hypnotischen Bann, der durch die
Kräfte der rubinroten Steine am Boden ausgelöst wurde?
Molochos verzog den Mund. Die Bewegung erfolgte wie in
Zeitlupe.
»Nein, ich glaube nicht…« Fern und unendlich weit
drang die Stimme an Hellmarks Ohren, als würde Molochos hinter
einer dicken Mauer sprechen. »Sag’ du mir etwas über
den Verbleib… von Koster… Ustur steckt dahinter… es
gibt keinen Zweifel für mich… Ich bin… zu
spät… gekommen…«
Björn hatte Mühe, die leisen Worte zu verstehen. Seine
Augen wurden schmal. »Ustur? Er ist der Unheimliche in euren
Reihen. Was hast du mit Ustur zu tun?«
»Er ist dein Feind, und er ist der meine…«
Dumpf und hohl klang Molochos’ Stimme. Es hörte sich an,
als würde er durch einen ausgehöhlten Knochen
sprechen…
Nochmal bewegten sich die Lippen des gebannten
Dämonenfürsten, doch kein Laut kam mehr aus seinem
Mund.
Mit halbgeöffnetem Mund stand er da.
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