Macabros 102: Die Finsterlinge von Krosh
glühte ein roter Punkt. Eine Zigarette…
Jean-Paul ließ sie fallen, als er das Mädchen kommen
sah.
Sie lief ihm schnurstracks in die Arme und schmiegte sich
außer Atem an ihn.
»Schön, daß du gekommen bist«, flüsterte
sie. »Ich bin so froh, dich zu sehen…«
»Auch ich bin sehr glücklich«, antwortete er. Seine
Scheu, die er sonst zur Schau trug, war verschwunden. Das Ganze war
wie ein Traum für ihn. Der Bäcker war groß und breit
wie ein Kleiderschrank, seine Hände glichen wahren Pratzen, die
Claudias Schultern abdeckten, solches Format hatten sie.
Die Nähe des hübschen Mädchens erregte ihn. Er
wußte selbst nicht, wie’s geschah. Plötzlich lagen
seine Lippen auf ihrem Mund. Claudia erwiderte seinen Kuß und
löste sich dann sanft von ihm. »Im Hotel…«,
flüsterte sie. »Im Hotel… haben wir Zeit. Niemand wird
uns dort stören, niemand dort vermuten. Ich habe noch immer
meinen Schlüssel… nicht mal Madame Fraque wird bemerken,
daß wir heute nacht ihre Gäste sind…« Ihre Augen
glitzerten im Sternenlicht wie Edelsteine.
Er öffnete ihr die Autotür, und sie glitt auf den
Beifahrersitz. Daß der Rock dabei weit über ihre Knie
rutschte, beachtete sie gar nicht. Sie merkte es nur am Blick ihres
Begleiters.
Jean-Paul startete den Wagen. Die Scheinwerfer flammten auf. Die
Fahrt begann.
»Ich hab’ alles dabei«, sagte der Mann an ihrer
Seite unvermittelt. Er griff über ihre Beine hinweg und
öffnete das Handschuhfach. Eine Brieftasche lag darin. Sie war
prall gefüllt. »Nimm es dir…«
Sie hatte es nicht eilig damit. »Das hat Zeit, Jean-Paul. Bis
morgen früh. Solange werden wir zusammen sein.« Einen
Moment schwieg sie. Dann legte sie ihre Rechte auf seinen Unterarm
und fuhr fort. »Ich verlaß’ mich auf dich, Jean-Paul.
Zu keinem auch nur ein Wort…«
»Du kannst dich auf mich verlassen«, nickte er.
»Obwohl mir die ganze Geschichte nicht paßt. Am liebsten
hätte ich die Polizei verständigt.«
»Sie könnte mir aus diesen Schwierigkeiten nicht
heraushelfen.«
»Das bezweifle ich.«
Ihre Blicke trafen sich. »Ich weiß, was ich tu’.
Ich werde bald zurück sein, und alles wird gut sein.«
»Und – wenn etwas schiefgeht?«
»Was sollte schiefgehen?«
»Wenn die Kerle – keine Ruhe geben? Wenn sie zum
Beispiel die Negative nicht herausrücken? Wenn sie weitere
Duplikate haben? Dann geht das ganze Spiel von vorn
los…«
»Laß’ das alles meine Sorge sein, Jean-Paul. Ich
habe mir die Sache gründlich überlegt.«
»Wann wirst du zurück sein? Was wird dein Vater machen,
wenn er merkt, daß du verschwunden bist?«
»Ihm habe ich eine schriftliche Nachricht hinterlassen, ihn
zu strengstem Stillschweigen gebeten. Vielleicht wird er im Dorf
sagen, daß ich bei einer Tante oder einem Onkel bin.«
Eine Zeitlang herrschte dann Schweigen.
Sie fuhren durch die Nacht.
Nach etwa zwanzig Minuten Fahrzeit bog Jean-Paul nach rechts auf
einen Seitenweg ein, der so schmal war, daß zwei Fahrzeuge
Schwierigkeiten gehabt hätten, aneinander vorbeizukommen.
Es ging nun weiter in bergiges Gebiet. Am Wegrand standen einzelne
Büsche und Bäume.
Ein Nachtvogel erhob sich mit schwerem Flügelschlag von einem
Baumstumpf am Wegrand. Das Tier streifte so tief über die
Straße, daß es fast die Kühlerhaube
berührte.
Auf holprigem Pfad schob sich der Wagen den vor ihnen liegenden
Hügel hoch.
Hinter einer dichten Gruppe von Akazien stand ein altes,
dreistockiges Gebäude.
Der Weg führte gewunden direkt zum Eingang.
Doch Jean Paul Larusse fuhr ihn nicht. Vor dem Hügel zog er
den Citroen nach links und parkte seitlich neben einer
Buschgruppe.
Drei Minuten warteten die beiden Insassen ab. Droben auf dem
Hügel hinter den Akazien tat sich nichts.
Da verließen Claudia und der Bäcker den Wagen.
Das Madchen hatte die Brieftasche mit den Geldscheinen inzwischen
an sich genommen.
Claudia Sevoir bewegte sich leichtfüßig auf die
schmalen Sandsteinstufen zu, die neben der Auffahrt angebracht
waren.
Außer dem leisen Knirschen ihrer Schritte und dem Zirpen der
Zikaden war die Nacht still.
Insgesamt siebzehn Stufen führten nach oben.
Beim Hinaufgehen blickte Claudia Sevoir unablässig auf das
kleine Wohnhaus, das neben dem alten Hotel stand. Das
Wohngebäude wirkte neben dem dreistöckigen, ockerfarbenen
Bau wie ein Puppenhaus mit spitzem Giebel und drei Dachgauben.
Das Wohnhaus war nur einstöckig. Charmaine Fraque lebte
allein darin.
Auf den ersten Blick war auch zu
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