Macabros 102: Die Finsterlinge von Krosh
auf.
Claudias Körper war schemenhaft zu erkennen. Sie winkte ihm
zu.
Larusse lächelte. Er durfte nicht anfangen darüber
nachzudenken, worauf er sich da eingelassen hatte. Das Ganze kam ihm
vor wie ein Traum oder eine Spielerei. Er, ein erwachsener Mann, dem
die Tochter des Bürgermeisters nachlief und er eine gute Partie
machen könnte, war seinerseits hinter einer
Siebzehnjährigen her, die selbst noch verheirateten Männern
in Celeste den Kopf verdrehte.
Er war ein Narr, daß er sich so vor den Karren spannen
ließ. Aber er konnte nicht anders. Er machte diese Narretei
mit, solange Claudia Sevoir dies wollte. Sie war eine kleine Hexe,
aber eine verdammt hübsche…
Jean-Paul ging zwei Schritte in den düsteren Korridor.
Die Türen links und rechts bestanden aus altem Holz und waren
blau gestrichen. Die Farbe war trocken und spröde, an vielen
Stellen schon abgeblättert, so daß das alte Holz
hervorschaute.
Die Wände waren kahl, schmutzig und in den Ecken und
unterhalb der Deckenfresken voller Spinnweben. Hier schien schon
lange niemand mehr sauber gemacht zu haben, und vor allen Dingen
schien in diesem Haus schon lange Zeit kein Gast mehr
übernachtet zu haben…
Der Bäcker zündete sich eine Zigarette an und lauschte
auf die sich entfernenden Schritte Claudias.
Dann knarrte leise eine Tür. Danach herrschte wieder
Stille.
Fünf Minuten vergingen, zehn Minuten, eine viertel
Stunde…
Jean-Paul hatte sich bereits die zweite Zigarette
angezündet.
»Claudia?« rief er leise in die Dunkelheit, als das
Mädchen nach über zwanzig Minuten noch immer nicht
zurück war.
Es erfolgte keine Antwort.
Da ließ er sich nicht mehr davon zurückhalten, etwas zu
unternehmen.
Er lief zum Fahrzeug und holte aus dem Handschuhfach eine
Taschenlampe. Damit kehrte er in das einsame, dunkle Hotel
zurück.
Leise zog er die Tür des Hintereingangs ins Schloß und
knipste erst dann die Lampe an.
Der verräterische Schein konnte von draußen und damit
von der anderen Seite her nicht gesehen werden, da es hier keine
Fenster gab.
Der breite, helle Scheinwerferkegel wanderte in lautloser
Gespenstigkeit über den staubigen Boden. Claudias
Fußabdrücke waren deutlich zu erkennen.
Die Schicht war mehrere Zentimeter dick.
Jean-Paul rief noch mal nach dem Mädchen. Diesmal lauter,
eindringlicher. Sein einsamer Ruf verhallte abermals ohne Antwort in
dem nächtlichen Haus.
Der Mann aus Cereste setzte sich in Bewegung, führte den
Kegel der Lampe vor sich her und vertrieb die Schatten, die ihn
unmittelbar umgaben. Dann befand er sich auf der Höhe der ersten
Tür.
Links von ihm ging wie von Geisterhand bewegt plötzlich die
fleckige Messingklinke in die Tiefe.
Der Franzose erschrak und blieb stehen. »Claudia?«
fragte er verwirrt.
Hier vorn konnte sie doch nicht sein! Er hatte sie doch
beobachtet, wie sie zum anderen Korridorende gelaufen war…
Es war also doch noch jemand im Hotel…
Da ging die Tür vollends auf. Aus dem Dunkeln trat eine
Gestalt…
Jean-Pauls Herzschlag stockte, sein Atem setzte aus.
Er suchte Claudia – und fand das Grauen!
Eine Frau trat aus dem Raum. Sie war groß, hatte lange,
schlanke Beine, die von Netzstrümpfen umhüllt waren.
Oberhalb der Hüfte begann ein Federkostüm, das bis zum Hals
reichte. Ganz oben war der Federbesatz dünner, und die helle
Haut der Brüste schimmerte durch. Der Hals war schmal und
weiß wie der Stengel einer Lilie. Der Kopf war
schrecklich… Ein großer Vogelschädel mit einem
dicken, kurzen Schnabel, den selbst die ausladenden Hände eines
Mannes nicht hätten umfassen können, prangte auf den
Schultern des seltsamen Geschöpfes.
Der Bäcker aus Côreste war unfähig, ein Wort zu
sagen. Er stand da wie gelähmt, das Herz schlug ihm bis zum
Hals.
Das Zwittergeschöpf starrte ihn aus großen, feucht
schimmernden Augen an, so daß Jean-Paul erst recht in Zweifel
versetzt wurde, es könne sich um einen Maskierten handeln. Die
Augen lebten und waren nicht aus Pappe, Plastik und Farbe!
Erst jetzt sah er, daß der »Vogel« schlanke
Frauenarme und Hände hatte. Er spreizte sie leicht vom
Körper ab. Die Arme schimmerten wie durch einen Gazeschleier,
der weiß und zart war wie bei einem Brautkleid.
Der Mann aus Celeste kam aus den Überraschungen nicht mehr
heraus.
Das eigenartige Geschöpf achtete nicht sonderlich auf ihn. Er
schien Luft zu sein. Es begann sich tänzerisch zu bewegen. Die
Hüften kreisten sanft, die langen Frauenbeine bewegten sich zu
den
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