Macabros 102: Die Finsterlinge von Krosh
er über den Gegenstand, der am Boden lag.
Gegenstand?
Das war ein Körper. Ein regloser Mensch.
Der Lichtkegel blieb zitternd auf der Gestalt haften.
Sie trug nur noch Fetzen am Leib. Blutbesudelt und zerkratzt war
die Haut.
Es war eine Frau. Sie lag mit dem Gesicht am Boden.
»Claudia?!« fragte Jean-Paul entsetzt und
erbleichte.
Die Frau kam ihm von der Figur her etwas stärker vor als die
jugendliche Claudia.
Alles ging mechanisch, ohne daß es ihm bewußt
wurde.
Jean-Paul ging in die Hocke und drehte die blutbesudelte Gestalt
auf den Rücken.
Es war eine fremde Frau. Wäre Rani Mahay oder Danielle de
Barteaulieé jetzt hier gewesen, sie hätten die Tote
erkannt.
Es war niemand anders als das Medium Camilla Davies aus
London…
*
Viel Zeit zum Überlegen hatte er nicht.
Sich sanft in den Hüften wiegend, kamen die seltsamen
Männer und Frauen näher, und es schien ihm, als wäre
er in eine geheime Festlichkeit geraten, von der Außenstehende
besser nichts erfuhren.
Larusse sah die unheimlichen Gestalten, die sich dem hintersten
Zimmer näherten, in dem er die Tote entdeckt hatte.
Plötzlich schien es ihm, als würde sein Verstand klarer
denken, seine aufgepeitschten Gefühle ruhiger werden.
Er begann die alptraumhafte Situation, die so unwirklich und doch
real war, mit kühlem Verstand zu sezieren…
Sein Blick heftete sich auf die Hände der bizarren,
»maskierten« Unbekannten. Einige trugen Handschuhe. Die
streiften sie ab.
Die Fingernägel – das fiel ihm jetzt auf – waren
bei allen besonders krallig und scharf ausbildet. Scharf wie
Rasiermesser!
Ein Stöhnen entrann seiner Kehle, als er begriff, was auch
ihn erwartete.
Er warf einen Blick auf die Tote.
Sie war Beweis genug.
Unter den Händen der sich nähernden Bestien hatte die
Fremde ihr Leben verloren.
Die Fingernägel hatten ihre Haut geritzt, Adern aufgerissen
und die Kehle durchschnitten.
Dasselbe mußte mit Claudia Sevoir passiert sein!
Sie war hierhergekommen und dem Tod in die Arme gelaufen > .
Larusse war im nächsten Moment auf den Beinen, warf sich
gegen die Tür und schlug sie zu. Mit fester Hand zog er den
Riegel nach vorn.
»Es nützt nichts«, sagte da eine leise Stimme
hinter seinem Rücken. »Wer mal hier ist, kann ihnen nicht
entkommen. Sie leben in diesem Haus, jeder von ihnen bewohnt einen
Raum. Sie gehören hierher, und niemand kann sie mehr
vertreiben…«
Er wirbelte herum.
Claudias Stimme! Aber warum – so spöttisch, so –
überheblich?!
Die Hand mit der Taschenlampe ruckte in die Höhe. Der
Lichtstrahl zuckte quer durch das große, prunkvoll und doch
ungepflegt eingerichtete Zimmer. Die Möbel waren verstaubt, die
Teppiche fadenscheinig und alt. Ebenso die Polstergarnitur. Der
einstmals hellblaue Samtstoff war verschlissen und verblaßt.
Das große Himmelbett neben dem Fenster mit den zugezogenen
Vorhängen sah morsch und baufällig aus, und der dünne
Gazeschleier, der von beiden Seiten herunterhing erinnerte ihn im
ersten Moment an krankes Spinngeweb.
Dieser Raum hatte mal schönere Zeiten erlebt.
Auf dem breiten Himmelbett bewegte sich eine Gestalt. Der
Lichtstrahl blieb an ihr hängen.
Jean-Paul sah zuerst die langen, glatten Beine. Sie paßten
zu Claudias Figur.
Sie hatte ein hauchdünnes Gewand umgelegt, das ihren
makellosen Körper kaum verbarg.
Vergessen waren die Unheimlichen draußen auf dem Korridor.
Erregung packte den Mann.
»Claudia?!« wisperte er. »Was hat das alles zu
bedeuten, warum…«
Er ging auf sie zu und brach abrupt ab, als die Gestalt sich
langsam vom Bett erhob. Mit bemerkenswertem Hüftschwung wandte
die Verführerische sich um.
Als Jean-Paul ihr Gesicht sah, glaubte er, der Boden unter seinen
Füßen würde sich öffnen.
Die Figur war die der jugendlichen Claudia Sevoir, die mit ihm
hierher gekommen war.
Das Gesicht, umrahmt von langem, dunklem Haar, aber war uralt,
zerknittert und welk. Das Antlitz einer Hundertjährigen!
Es war – Madame Fraque!
*
Alan Kennan hätte gern noch weiter berichtet.
Doch seine Kräfte verließen ihn. Er bewegte noch die
Lippen, aber kein Laut kaum mehr über sie.
Rani Mahay aber glaubte, daß er mit dem, was er gehört
hatte, genug anfangen konnte.
Er nahm den jungen Amerikaner auf die Arme und trug ihn in seine
Hütte.
»Kümmere dich um ihn«, forderte er Danielle auf,
»damit er schnell wieder auf die Beine kommt.«
Sie sah ihn an. »Ich möchte dich nicht allein gehen
lassen«, sagte sie, die genau
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