Macabros 102: Die Finsterlinge von Krosh
Schneekristalle hatten sich darangesetzt.
Camilla Davies!
Sie und der Mann am Tisch waren zu Eis erstarrt, und wenn es im
Innern dieses unheimlichen Hotelzimmers weiter so schneite, dann
würden sie bald vollends bedeckt sein…
*
War das die Szene, die Alan Kennan beobachtet hatte? War es eine
von vielen Szenen, die sich möglicherweise auch in anderen
Zimmern des merkwürdigen Gebäudes abspielten?
Er wußte es nicht. Und er sollte es nicht erfahren.
Fünf Sekunden war er abgelenkt. Das wurde ihm zum
Verhängnis.
Er erhielt einen Stoß in den Rücken und taumelte nach
vorn. Nur einen einzigen Schritt weit. Aber es war ein Schritt
zuviel. Er übertrat die Schwelle.
Mahay war flink, gewohnt schnell und handelte ohne lange zu
überlegen.
Doch diesmal war er zu langsam.
Noch ehe er herumwirbelte, um seinem heimtückischen Gegner
ins Gesicht zu sehen, flog ihm die Tür entgegen und krachte ins
Schloß.
Ein vernehmliches Knacken. Von außen wurde ein
Schlüssel gedreht.
Mit einem wütenden Fluch auf den Lippen warf der
muskulöse Inder sich der Tür entgegen. Er hatte das
Gefühl, gegen eine Mauer anzurennen. Die Tür gab nicht
nach.
Mahays Atem war zu sehen, er destillierte an der lackierten
Innenfläche der Tür.
Das Herz des Inders schlug schneller.
Er spürte die Kälte, die durch seine Kleider kroch, den
Schnee, der auf seiner Haut schmolz, aber auf seinen Augenbrauen
liegen blieb und festfror.
Ein schmerzliches Lächeln stahl sich drei Sekunden auf seine
Lippen.
»Nicht so, nein… nicht mit mir«, murmelte er im
Selbstgespräch.
Er dachte an Marlos, die paradiesische Insel im Unsichtbaren, die
allen,die sie kannten, Geborgenheit und Sicherheit verhieß.
Ab – nach da!
Aber seine Umgebung veränderte sich nicht.
Da blieb das alte, seltsame Hotelzimmer, da blieben die Kälte
und der Schnee, und er merkte, wie die eisige Temperatur langsam auch
in seine Glieder kroch, ihn müde und abgeschlagen machte, wie
der Schnee langsam auch auf ihm liegen blieb und ihn wie ein
lockeres, kaltes Leichentuch zuzudecken begann…
*
Er hatte schon viel erlebt. Aber so etwas noch nicht.
Dieser blonde Tarzan konnte sich in einer modernen Sprache
ausdrücken, und er stammte offensichtlich auch aus einer
modernen Zeit.
»Wer bist du?« fragte Macabros und richtete seine Worte
in Englisch an den Fremden.
»Harry…«
»Amerikaner?«
Ein Nicken.
»Und – aus welcher Zeit stammst du?« Macabros
ließ sein Gegenüber, der nicht so gefesselt war wie er,
sondern lediglich von mehreren finsteren Gestalten in Schach gehalten
wurde, nicht aus den Augen.
»1950…«
»Dann bist du gut dreißig Jahre jünger als ich.
Und doch scheinen wir das gleiche Alter zu haben…« Erregung
packte Macabros. »Wie kommst du hierher, Harry?«
»Das ist eine lange Geschichte. Dazu werden uns die
Finsterlinge von Krosh wohl keine Gelegenheit geben. Ist schon
erstaunlich, daß sie uns so lange miteinander reden lassen,
scheint einen besonderen Grund zu haben…« Seine Stimme
klang mißtrauisch. »Ich kenne die Burschen nämlich.
Ich habe nicht zum erstenmal mit ihnen zu tun. Diesmal, so scheint es
mir allerdings, scheinen sie mich wirklich an der Kandarre zu haben.
Ich bin ihnen zu nahe auf den Pelz gerückt.«
»Und weshalb?«
»Es heißt, daß einer von ihnen weiß, wo das
›Singende Fahsaals‹ zu finden ist… Und hinter dem bin
ich her. Wer es besitzt, dem werden alle Wünsche erfüllt
werden. Und ich habe eigentlich nur einen einzigen: wieder
heimzukehren in meine Welt und meine Zeit. Und dann Rache an ihnen zu
nehmen…«
»Rache an wem?«
»Rache an denen, die mich hierher gebracht haben. Die
Männer in Schwarz – die Men in Black! Schon mal von ihnen
gehört.?«
»Oh, ja«, sagte Macabros dumpf und mußte an die
Begegnungen denken, die Rani Mahay und Richard Patrick mit den
Männern in Schwarz gehabt hatten. Begegnungen, die sie an den
Rand des Todes brachten.
Sie waren also auch schon in früheren Jahrzehnten
aufgetreten. Das war schon lange vermutet worden. Und nicht nur da.
In noch früheren Zeiten waren sie aufgetaucht.
Sogar hier – 8734 Jahre vor der xantilonischen Zeitrechnung
fiel ihr Name.
»Wahrscheinlich bist du ihnen auch in die Hände
gefallen. Warst du hinter ihrem Geheimnis her?« erscholl Harry
Carsons Frage.
Macabros nickte. »Auch… aber meine Anwesenheit hier hat
einen anderen Grund.«
Er sprach nicht mehr weiter. Harte, mit Metall überzogene
Hände packten ihn. Er wurde
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