Macabros 105: Jagd auf den Horror-Götzen
wobei selbst Rani und Danielle, die ihn schon
so lange kannten, nicht mal wußten, ob dies seine
Originalstimme war. Whiss war etwas Besonderes. Er konnte jedes
Geräusch, jede fremde Stimme imitieren und bediente sich
für sein Leben gern anderer Stimmen. »Selbst da, wo man am
wenigsten mit euch rechnet, taucht ihr auf…«
Das klang fast so, als wäre er aufs höchste beleidigt,
bekannte Gesichter hier zu sehen. Doch sie wußten beide, wie
Whiss wirklich empfand.
Er war froh, blieb aber ernst und umflog Danielle und Rani
mehrmals, als müsse er sich vergewissern, daß sie wirklich
›echt‹ waren.
»Das Zwischenreich, der Schacht, von dem Charmaine Fraque
gesprochen hatte«, sagte Rani dann aufgeregt, und es fiel ihm
wie Schuppen von den Augen. »Es liegt hier… wir sind, wie
Whiss, hineingeraten. Nur über einen Umweg…«
»Sieht fast so aus«, krähte der Kleine, der in
Anbetracht der Umstände seiner Freude diesmal nicht freien Lauf
ließ. »Aber ob Umweg oder direkter Weg - beides scheint in
der Sackgasse zu münden«, murmelte Rani. »Ich habe mir
die ganze Zeit über gewünscht, dich zu finden, ich bin so
froh, daß es unter diesen Umständen
passiert…«
»Umstände? Was heißt hier Umstände,
Großer? Solange ihr noch nicht so schwach und welk ausseht wie
die anderen, ist doch nichts verloren…«
»Wie meinst du das, Whiss?« fragte Mahay ernst.
Er streckte seine Rechte aus. Whiss saß auf seinem
Handrücken, hatte seine farbenschillernden Flügel zwischen
den Schultern zusammengefaltet und fuchtelte mit seinen kleinen Armen
in der Luft herum.
»Siehst du schlecht?« fragte er respektlos.
»Brauchst du eine Brille, weil du mich mit zusammengekniffenen
Augen ansiehst?«
»Ich mustere dich…«
»Ja, so sieht’s aus, und weshalb, wenn ich fragen
darf?«
»Ich muß versuchen, herauszufinden, ob du wirklich echt
bist…«
»Seh ich aus wie eine Attrappe?«
»Vielleicht bist du eine. Wir sind immer noch in
Molochos’ Einflußbereich und…«
»Unsinn!« fiel Whiss ihm ins Wort. »Der
Dämonenfürst kann hier überhaupt nichts ausrichten. Er
hat keine Macht über diesen ›Schacht‹, wie er
allgemein genannt wird.«
Rani Mahay war nach der ersten großen Freude und
Überraschung wieder ernster geworden.
Noch wußte er wirklich nicht, was er von der Situation
halten sollte.
Wer die Dämonen und deren Leidenschaften kannte, wurde
allerdings mit der Zeit sehr mißtrauisch und vorsichtig. Sie
spielten mit den Seelen und Gefühlen der Menschen.
War dies alles nur ein Spiegelbild, eine Halluzination,
vorgegaukelt durch Molochos? Wollte er makabres Spiel treiben, das
sie in dieser Richtung ursprünglich nicht erwartet hatten? Mit
ihm war alles möglich…
»Erzähl’ uns, wie du hierher gekommen bist. Ich
möchte mir ein Bild davon machen«, sagte der Inder.
»Du bist unglücklich…, kein Wunder…«,
nickte Whiss, der Verständnis für seine Reaktion
aufzubringen schien. »Es ist einfach zuviel in der letzten Zeit
geschehen, um es schlagartig vergessen zu können… erinnerst
du dich an den Abend, als wir uns vorgenommen haben, das
geheimnisvolle ›Hotel Fraque‹ ein wenig unter die Lupe zu
nehmen?«
»Wie könnte ich diesen Abend vergessen! Da fing ein
neues Unglück an. Wir hatten Madame Fraque unterschätzt. Zu
spät erfuhr ich, daß es rings um das Anwesen eine Falle
gibt, die ausschließlich auf jene anspricht, die über
paranormale Fähigkeiten verfügen…«
»Richtig…«
»Du bist um die Hausecke herum verschwunden. Ich war nur zwei
Schritte hinter dir. Als ich um sie bog, war von dir weit und breit
nichts mehr zu sehen…«
Rani bemühte sich, seine jetzige makabre Umgebung zu
vergessen und sich ganz auf Whiss zu konzentrieren, über dessen
unerwartetes Auftauchen er froh war – vorausgesetzt, daß
das Ganze sich nicht als eine Seifenblase entpuppte. Daß es so
sein könnte, davor hatte er Angst…
»… als du plötzlich verschwunden warst,
Whiss…, wie war das? Wo bist du angekommen? Was ist passiert?
Erzähl’ es uns…«
»Ich geriet in einen Sog, der so stark war, daß ich
mich nicht mehr daraus befreien konnte«, berichtete der kleine
Bursche mit dem ulkigen Gesicht, das sowohl vogelartig, menschlich
als auch schildkrötenartig war. »Du mußt dir einen
starken Sturm vorstellen, der dich einfach von den Beinen
reißt, und gegen den du nichts ausrichten kannst… dieser
›Sturm‹ riß mich in einen Strudel. Ich war wie
gelähmt und konnte nur noch denken. Als
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