Macabros 106: Die gläsernen Dämonen von Etak
du dafür, daß sie kein Ersatz bleiben,
sondern sich mit Leben füllen…«
Rätselhaft waren auch diese Worte.
»Was willst du damit sagen?«
»Es wird die Stunde kommen, da wirst du
verstehen…«
Hatten die zwei der drei Zauberinnen, die sprechen konnten, ihm
nicht die volle Wahrheit gesagt? Hatten sie absichtlich etwas
verschwiegen?
»Sinniere nicht«, vernahm er Daiyanas Stimme wieder.
»Nicht jetzt in dieser Minute, nicht an diesem Ort… er ist
geweiht, einem anderen Zweck zu dienen…«
Sie ging auf ihn zu. Noch ein einziger Schritt trennte sie.
Langsam kamen ihre nackten Arme nach vorn.
Ein betörender Duft ging von ihrer Haut aus.
Daiyana, die vierte, berückende Zauberin aus Un, die noch
niemand lebend erblickt hatte, und von der er schon gedacht hatte,
daß sie vielleicht nur eine Erfindung, eine Legende war…
Daiyana brachte ihre Hände zusammen, so daß die
Innenflächen sich berührten. Es sah aus, als würde sie
um etwas bitten.
Und in dem Leuchten, das ihren Körper umhüllte, und das
– wie Macabros meinte – seit dem ersten Augenblick
schwächer geworden war, schimmerte es ein zweites Mal.
Stärker, kompakter… Ein Leuchten und Schimmern, das zum
Gleißen wurde, als würde sie mit ihren zusammengefalteten
Händen etwas aus dem Licht nehmen.
»Für dich… Nimm!« wurde er aufgefordert.
»Laß dein Schwert fallen, oder stoße es in den Boden
und nimm dafür das, was ich für dich bereit
halte…«
Es war etwas in ihren Worten, das keinen Widerspruch duldete, ohne
daß es zwingend war. Es war etwas in ihren Worten, das ihn
überzeugte.
Und so tat er, was sie sagte. Mit scharfem Ruck stieß
Macabros das Schwert in den Boden. Er rammte es mehr als über
die Hälfte in die harte Erde, wo es zitternd stecken blieb.
Sie hielt ihm das neue Schwert entgegen.
Es funkelte wie poliertes Gold und geschliffene Edelsteine.
Kostbar war der Griff.
Macabros glaubte, seinen Augen nicht trauen zu können.
Dieses Schwert war ihm vertraut.
Es war – das ›Schwert des Toten Gottes‹!
*
Und er begriff diesen Augenblick in seiner ganzen Tragweite.
Dies war ein geschichtlicher Moment, ein Höhepunkt in der
Vorzeit Xantilons! Es war der Augenblick, da er aus der Hand einer
Zauberin das ›Schwert‹ erhielt, das später den
Beinamen ›Schwert des Toten Gottes‹ bekommen sollte.
Macabros stand wie unter einem Bann, als er nach der Waffe griff
und sie mit Ehrfurcht und Andacht mit beiden Händen
entgegennahm.
Er kannte die Zukunft, weil er aus ihr kam. Er wußte,
daß Molochos diese Waffe in Besitz hatte. Aber dies würde
erst noch geschehen – in rund zwanzigtausend Jahren. Jetzt, in
diesem Moment war die Stunde der Übergabe. Hier, 8734 Jahre vor
dem Untergang Xantilons, ereignete sich etwas Rätselhaftes,
etwas, das nie bekannt geworden war, für das es keine Zeugen gab
und von dem nicht mal andeutungsweise etwas im ›Buch der
Gesetze‹ stand, das in der Geister-Höhle von Marlos wie ein
Schatz gehütet wurde.
Immer hatte es geheißen, daß das ›Schwert des
Toten Gottes‹ im magischen Feuer einer Esse auf Xantilon
für seine Hand geschmiedet worden war.
Wahrscheinlich war es das auch, aber er hatte es aus der Hand
einer Erscheinung, aus der Hand der schönen Zauberin Daiyana
empfangen!
Das war ein Teil der Wirklichkeit, die ihm nun bekannt wurde.
»Dies Schwert gehört dir. Für deine Hand wurde es
geschmiedet, und nur du allein kannst es führen…« Ihre
Stimme klang wie aus weiter Ferne an seine Ohren. »Niemand
außer dir wird damit umgehen können. Es wurde geschaffen,
um dem zu gehören, der dem Rat der versteinerten Zauberinnen
folgt, der sich entschlossen hat, nach Etak zu gehen, um den
Einfluß der Gläsernen Dämonen ein für allemal
auszumerzen…«
Was er erlebte, war eines jener berühmten Zeit-Paradoxa, wie
es SF-Autoren in ihren Zeitreisegeschichten so gern benutzten.
In der fernen Vergangenheit hatte ein Akteur ein Erlebnis, das in
der Zukunft längst abgeschlossen war. Die Dinge standen
praktisch auf dem Kopf, Ursache und Wirkung war vertauscht.
Dieses Schwert, das in diesen Minuten noch keinen Namen hatte,
kannte er aus der Zukunft unter der Bezeichnung ›Schwert des
Toten Gottes‹. Es wurde durch Molochos’ Helfershelfer in
ein Loch geworfen, von dem er nicht wußte, wohin es
mündete. Molochos allein kannte den Ort, wo das Schwert in
diesen Minuten, die parallel zur Zukunft lagen, sich befand. Wer die
Geheimnisse der Zeit nicht kannte, würde auf
Weitere Kostenlose Bücher