Macabros 109: Vontox - Der Magier aus Lemuria
auf dem Stuhl saß, die Hände auf dem Schoß
gefaltet.
Vontox erfaßte augenblicklich die Situation und Psyche
Lorette Grandes.
Darauf stellte er sich ein.
Er begriff, warum sie trauerte und fühlte, welche Stimmungen
und Wünsche seit jeher in ihr schlummerten.
Sie liebte Tiere und hatte den Wunsch nach einem Kind.
Um Vontox’ Lippen spielte ein grausames Lächeln, als er
sein Gesicht vom Fenster löste.
Kind oder Tier…
Das Letztere war in der augenblicklichen Situation einfacher.
Er traf seine Entscheidung und handelte augenblicklich, um nicht
noch mehr Zeit zu verlieren. Er wußte schließlich nicht,
ob die erstarkenden Widersacher, die ihm seine Macht streitig
machten, bereits seine Spur geortet hatten und Maßnahmen zur
Verfolgung einleiteten. Dies war zwar sehr unwahrscheinlich, aber wie
die Ereignisse der letzten Zeit schließlich bewiesen hatten,
nicht unmöglich.
Taya, die Vogelfrau, und ihr Volk steckten nicht allein hinter den
Störungen. Da mischte noch etwas anderes mit.
Um das herauszufinden, mußte er schnell und aufmerksam
handeln und durfte seinen Gegnern keine Chance für einen
Gegenschlag geben. Es war ein Verdacht in ihm. Ein anderer Magier
forderte ihn zum Duell, einer der ihm Lemuria streitig machen
wollte.
Doch der Feind kämpfte noch aus dem Verborgenen und gab sich
nicht zu erkennen.
Wenn der andere klug war, würde er über kurz oder lang
die Fluchtspur erkennen und folgen. Dann allerdings würde sich
für jenen das Problem stellen, wo und wie Vontox untergetaucht
war. Diesmal hatte der Magier aus Lemuria die Chance, vorzeitig den
Feind zu beobachten und zu erkennen. Einen Gegner, den man kannte,
konnte man leichter bekämpfen.
Vontox entschloß sich für das Tier.
Katzen gehörten zu Lorette Grandes Lieblingen.
Da veränderte die Gestalt des Magiers sich.
Noch mal trat der Lichtschein auf, diesmal nicht so hell wie
vorhin.
Eben noch stand er in ganzer Größe vor dem Fenster
– nun war er verschwunden.
Nein… dort auf dem Rasen bewegte sich etwas…
Eine junge Katze, grau-weiß gestreift, miaute klagend. Ein
hilfloses Tier, das offenbar nicht wußte, wohin es
gehörte.
Doch Vontox, in der Gestalt der jungen Katze, wußte das sehr
wohl. Mit hellem Miauen näherte er sich der schweren
Tür.
Sie war eingeklinkt, unmöglich, sie aufzudrücken.
Doch soviel magische Kraft, um dieses ›Unmögliche‹
zu beseitigen, hatte er aus Lemuria mitgebracht.
Im Schloß klickte es leise, wie durch Geisterhand bewegt
wurde die Klinke herabgedrückt, und die schwere Tür
öffnete sich einen Spalt.
Das Kätzchen drückte dagegen, verbreiterte den Eingang
und lief dann tapsig hinein in die halbdunkle Kapelle.
In die absolute Stille drang das helle Miauen, als würde es
durch einen Lautsprecher verstärkt.
Lorette Grande fuhr zusammen, starrte in das Halbdunkel und wollte
ihren Augen nicht trauen.
Die Tür vorn stand spaltbreit offen. Das Kätzchen lief
durch den Mittelgang der kleinen Kapelle, miaute immer wieder und
steuerte direkt auf die Frau zu, als sie die Bewegung der
Schwarzgekleideten registrierte.
Einen Moment war Lorette Grande verwirrt.
Hatte sie die Tür denn nicht ins Schloß gedrückt?
Offenbar war der Riegel nicht ganz eingeschnappt, so daß der
kleine nächtliche Besucher die Tür weiter aufdrücken
konnte.
Lorette Grande erhob sich.
Die junge Katze blickte und miaute sie an und kam direkt auf sie
zu.
»Wie… kommst du den hier herein?« fragte die
Französin leise.
Sie streckte die Hand aus, die Katze schmiegte sich mit ihrem Kopf
dagegen, ließ sich willig streicheln und begann zu
schnurren.
»Du bist ein alter Genießer… wer hat dich denn
ausgesetzt? Oder bist du – ausgerissen?«
Schnurren… Das Tier strich um Lorettes Beine und blieb in der
Nähe.
Vontox wußte, daß er seinem Ziel einen Schritt
näher gekommen war…
Ihre Schritte knirschten auf dem Kiesweg, der zwischen den
Grabreihen entlangführte.
Carol und Harry Carson gingen wortlos hintereinander her. Es
schien, als würde die triste und finstere Umgebung des
Friedhofes ihre Gesprächsbereitschaft lähmen.
Dunkel ragten Grabsteine und Kreuze aus alten, eingesunkenen
Erdhügeln. Hier vorn war der alte Teil des Friedhofes. Die
Grabstätten gingen bis ins Jahr 1718 zurück. Man hatte sie
längst beseitigen und neue errichten können. Aber man
ließ die Gräber in ihrem ursprünglichen Zustand.
Weiter hinten lagen die neuen Grabstätten. Frische
Grabhügel schimmerten aus dem Dunkel,
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