Macabros 123: Die Spuk-Ruine von Maronn
Dwellyn hatte stets gehofft, solange er lebte, nie
mit einem derartigen Phänomen wie seine Vorfahren konfrontiert
zu werden.
Nun war’s doch passiert…
Vor drei Tagen.
Als die Amerikanerin verschwand, blieb ihm nichts anderes
übrig, als die Polizei zu verständigen.
Am folgenden Tag war sie eingetroffen. Eine Sonderkommission von
insgesamt fünf Männern. Sie inspizierte das Schloß
und war den gleichen Weg gegangen wie die amerikanische
Touristengruppe an jenem fraglichen Abend auch.
Die Stelle, an der man Loretta Franklin zum letzten Mal sah, war
von mehreren Personen übereinstimmend angegeben worden. Man
hatte die Mauer und die Nische unter die Lupe genommen und sogar die
Stelle, an der die Sekretärin gestanden hatte, aufgegraben, weil
die Vermutung geäußert worden war, sie könnte
möglicherweise in einen unbekannten, unter dem Gewölbe
liegenden Hohlraum gestürzt sein.
Aber diese phantastische These hatte sich natürlich nicht
bewahrheitet. Im Boden konnte schließlich kein Mensch
versinken, ohne daß Spuren zurückblieben.
Aber Henri-James 16. Lord of Dwellyn wußte es anders.
Im Schloß hatte es zu allen Zeiten merkwürdige
Vorkommnisse gegeben, und das war der Grund, weshalb er nie dort
gewohnt hatte.
Auf der Straße, die sich durch die Berge schlängelte,
waren die Scheinwerfer eines Autos zu sehen, das rasch näherkam
und wenig später auf dem Parkplatz vor dem Hotel hielt.
Es war ein Bentley, in dem drei Männer saßen.
Sie stiegen aus und betraten gleich darauf das Foyer des
Hotels.
Eine Minute später schlug das Telefon im Büro des Lords
of Dwellyn an.
Der Mann mit den graumelierten Schläfen und dem energischen
Kinn nahm den Hörer ab.
»Ja?«
»Mister Patrick, Sir«, meldete ihm die weibliche Stimme
einer Angestellten.
»Schicken Sie ihn hoch.«
Es war vereinbart, daß er zunächst mit dem
amerikanischen Verleger unter vier Augen konferieren würde. Eine
Ausgabe der »Amazing Tales« war ihm rechtzeitig beschafft
worden, und er hatte sich inzwischen einen Eindruck von der
Qualität der Berichte und dem Gebotenen machen können.
Was darin über Telepathie, Jenseitsforschung, Telekinese,
Teleportation, Magie, Astro-Archäologie, Ufologie und
Okkultismus stand, klang oft mehr als unwahrscheinlich. Aber
Henri-James of Dwellyn wußte aus eigener Erfahrung, daß
es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gab, als der sogenannte
»klare Menschenverstand« wahrhaben wollte.
Richard Patrick war ein angenehmer Besucher.
Die beiden Männer verstanden sich auf Anhieb.
Der Lord bot seinem Gast einen hauseigen gebrannten Whisky an, der
entsprechend kostbar und einmalig war.
»Ich habe es Ihnen schon am Telefon gesagt«, brachte der
Lord dann das Gespräch gleich in die gewünschte Richtung.
»Eigentlich verwundert es mich, daß Sie Dwellyn-Castle mit
in die Auswahl der interessantesten Spukschlösser Europa bringen
wollen, Mister Patrick.«
»Was ist daran so verwunderlich?« entgegnete der
Verleger. »Ich habe in einem Archiv Hinweise gefunden, daß
es im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert merkwürdige
Erscheinungen auf Dwellyn-Castle gab.«
»Davon ist mir nichts bekannt.«
»Es sind zahlreiche Menschen verschwunden, von denen man nie
wieder etwas gehört hat.«
»Unbewiesene Legenden«, schüttelte Henri-James Lord
of Dwellyn den Kopf. »Wahr ist, daß die Pest im
Schloß verheerend wütete und innerhalb weniger Stunden
hundert Menschen dahinraffte. Die Krankheit ist noch einige Male
aufgetreten, Ende des dreizehnten Jahrhunderts. Aber von einem
Schloßgespenst oder ähnlichem war nie die Rede.«
»Wohl aber von einer Kraft, die sich in den Mauern
zeigte«, beharrte Richard Patrick auf seinem Standpunkt.
»Wahrscheinlich sind Sie selbst nicht über gewisse Dinge
informiert, so daß Sie das, was meine Leute aus alten Schriften
und in Archiven und Bibliotheken ausgegraben haben, nicht wissen
können. Andererseits aber verwundert es mich, daß Sie und
Ihre Vorfahren sich seit dem 16. Jahrhundert beharrlich weigern,
Dwellyn-Castle zu bewohnen.«
»Sie sind erstaunlich gut unterrichtet«, konnte der 16.
Lord of Dwellyn sich die anerkennende Bemerkung nicht verkneifen.
»Wir recherchieren stets genau, ehe wir etwas in Angriff
nehmen, Mylord… Es gibt auf Dwellyn-Castle ein Geheimnis, das
die Familien von Dwellyn stets zu tarnen versucht haben. Das ist
meine Meinung, bitte verstehen Sie mich nicht falsch… Das
geschah gewiß nicht, um andere Menschen damit zu täuschen,
sondern
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