Macabros Neu 01 - Der Leichenorden von Itaron
bleiche Knochen? Anna rieb sich die Augen … Nein. Einige der vermeintlichen Äste waren tatsächlich Knochen!
Sie wankte auf den Baum zu, der ihr am nächsten stand. An einer Astverzweigung ragte mitten aus dem Holz ein menschlicher Unterarmknochen, der in einer bleichen, starren Skelettklaue auslief. Die Fingerknochen waren gekrümmt, als wolle die Hand nach etwas greifen.
Anna schüttelte sich vor Entsetzen und Ekel. Schnell hastete sie einige Schritte weiter. Sie lief auf einem breiten Pfad, der zwischen den Bäumen entlangführte. Ohne innezuhalten, warf sie über die Schulter einen Blick zurück.
Ihr war, als würde die Klaue am Baum sich krümmen, die Kuppe des Zeigefingers sie hämisch zu sich winken …
Ihr Herz raste, sie konnte vor Grauen kaum atmen, wandte sich wieder um – und prallte beinahe gegen den Stamm des nächsten Baumes.
Doch nicht nur das.
Direkt vor sich erblickte sie ein breites, knochenartiges Gebilde, das an einem dünnen Ast von dem Todesbaum herabhing.
Ein skelettierter Brustkorb!
Der Anblick war bizarr. Das Gerippe ragte vor ihr aus dem Ast, wo bei einem normalen Baum womöglich ein weiterer Zweig ausgetreten wäre.
Anna presste beide Hände gegen die Brust. In welche Albtraumwelt war sie hier nur geraten? Mit weit geöffnetem Mund atmete sie, taumelte einige Schritte nach hinten. Ihre Blicke flackerten, fingen sich an den Details ihrer Umgebung. Ein Totenschädel, der von einem der nächsten Bäume herabhing, grinste sie an; aus seiner Augenhöhle wuchs ein kleiner Ast. Statt einer Wurzel ragte vor ihr ein Beckenknochen neben einem Stamm aus dem Boden.
Anna glaubte, endgültig den Verstand zu verlieren.
Und dann hörte sie zum ersten Mal ein Geräusch, das nicht vom Wind oder von ihr selbst verursacht wurde. Ein Klappern, hohl und geisterhaft. Das Klacken von Knochen, die gegeneinander stießen …
Instinktiv presste Anna sich gegen einen Baumstamm, obwohl sie bei der Berührung in ihrem Rücken einen Ekelschauer verspürte. Andererseits suchte sie instinktiv nach Schutz, denn das, was sie nun vor sich sah, schien der Fantasie eines irren Schriftstellers entsprungen zu sein. Ein Mann rannte den Weg entlang, verfolgt von einer schauderhaften, völlig skelettierten Bestie.
Das Monstrum war groß wie ein Elefant, hetzte aber auf allen vier fleischlosen Beinen voran wie ein elegantes Raubtier. In den leeren Augenhöhlen glühte düsterrotes Licht. Etwas an dem Schädel des Ungetüms kam Anna noch unwirklicher vor als der gesamte Anblick der Szene. Ihr gepeinigter Verstand begriff erst nach Sekunden, dass dieses Ungeheuer drei Augen besaß. Die Schnauze wölbte sich weit vor, und in den blanken Kieferknochen steckten mörderisch lange Reißzähne.
Der Mann, der vor der Bestie floh, war sichtlich am Ende seiner Kräfte angelangt. Sein Blick flackerte, als habe er den Verstand verloren.
Kein Wunder, dachte Anna. Ihr erging es nicht anders … und das, obwohl sie sich im Vergleich zu dem Mann geradezu in einer paradiesischen Lage befand.
Das Skelettmonster setzte zu einem gewaltigen Sprung an. Es flog durch die Luft – und landete krachend direkt hinter dem Flüchtenden. Der Kopf stieß nach vorn und schmetterte in den Rücken des Mannes.
Dieser schrie voll Entsetzen und Schmerz, wurde von den Füßen gerissen und schlug auf den Boden. Er wälzte sich noch zur Seite, doch die Bestie setzte ihm ihre bloßen Knochenklauen auf den Rücken und presste ihn erbarmungslos auf den Boden.
Das entsetzliche Geschehen spielte sich keine zwanzig Meter von Anna entfernt ab. Sie beobachtete es zitternd, sagte sich, dass sie dem Unbekannten helfen musste.
Aber wie? Was konnte sie schon gegen dieses hünenhafte Skelettmonster ausrichten?
Die Bestie senkte den Schädel, bleckte die Zähne, was ein grauenhaft-schabendes Geräusch erzeugte. Der Gefangene bäumte sich auf, versuchte sich verzweifelt zu befreien.
Das Monster riss das Maul auf.
Anna schloss die Augen. Sie wollte nicht sehen, wie der Mann starb …
Doch der Todesschrei blieb aus.
Nur ein Wimmern war zu hören, und das Scharren und Klappern der Knochenbeine.
»So ist es Recht«, klang eine düstere Stimme an Annas Ohr. Schlurfende Schritte ertönten, vermischt mit dem raschelnden Geräusch von Stoff, der über den Boden schleifte.
Anna öffnete in ihrem notdürftigen Versteck bebend die Augen.
Ein lebendes Skelett, das aussah, als habe es einst einem Menschen gehört, eilte zu dem Knochenmonster. Es trug eine schwarze
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