Macabros Neu 01 - Der Leichenorden von Itaron
Bornier haben wollte. Als hätte Bornier selbst die Auswahl vorgenommen … Aber das war natürlich unmöglich, denn der Maler befand sich auf seinem Schloss und hatte von den zahlreichen Telefonaten nichts mitbekommen.
»Guten Tag, Herr Bottlinger.«
Die sonore Stimme war Bottlinger fremd. Er richtete sich schon darauf ein, die übliche Absage zu erteilen, als der Mann am anderen Ende der Leitung bereits fortfuhr: »Sie kennen mich nicht, aber ich habe von Ihrem Angebot gehört und würde gern an diesem Wochenende das Schloss von Michael Bornier besichtigen.«
»Bedaure, aber das geht leider nicht. Es sind bereits alle Plätze ausgebucht.«
»Das ist aber schade. Ich wollte zusammen mit meiner Freundin kommen. Wir interessieren uns sehr für die Bilder Borniers.«
»Ich werde mir Ihren Namen aufschreiben und Sie für den nächsten freien Termin eintragen.« Bottlinger zückte einen Notizblock.
»Schade«, sagte die sonore Stimme. »Sind Sie sicher, dass wirklich gar nichts mehr zu machen ist …?«
Bottlinger wollte eine scharfe Antwort geben. Er hatte keine Lust, noch weitere Zeit mit nutzlosen Telefonaten zu verschwenden. Aber er zögerte. Irgendetwas verleitete Bottlinger dazu, noch einmal über seine Teilnehmerliste nachzudenken. Wenn er einem der anderen Teilnehmer absagte …
»Vielleicht lässt sich doch noch etwas machen«, sagte er unsicher.
»Das wäre hervorragend! Ich würde Ihnen diesen kleinen Gefallen niemals vergessen!«
Bottlinger presste die Lippen zusammen. Wieso ließ er sich von dem Fremden so einfach überreden? Die Liste war längst komplett. Der Austausch eines Teilnehmers bedeutete nur zusätzliche Arbeit …
»Das ist kein Problem«, hörte er sich sagen. »Natürlich können Sie und Ihre Freundin morgen Abend teilnehmen.«
Er leierte die Informationen zur Anfahrt und zu den Kosten herunter, die er bereits auswendig kannte. Gleichzeitig fragte er sich, ob er verrückt geworden war. Überlastung. Das war die einzige Erklärung. Diese Geschichte mit Bornier wuchs ihm langsam über den Kopf. Er brauchte dringend einen Tag Urlaub.
»Haben Sie vielen Dank, Herr Bottlinger«, sagte die sonore Stimme. »Das werden wir Ihnen bestimmt nicht vergessen.«
»Dann brauche ich jetzt nur noch Ihren Namen und Ihre Adresse«, sagte Bottlinger automatisch.
Die Antwort des Anrufers kam sofort. »Natürlich. Mein Name ist Rani Mahay, und meine Freundin heißt Danielle de Barteauliee …«
»Das Wochenende ist komplett ausgebucht!«, sagte der Journalist nicht ohne Stolz, als er Bornier am nächsten Morgen besuchte. »Wir werden heute Abend gegen 20 Uhr zu Ihnen auf das Schloss kommen. Womöglich auch etwas später. Der heutige Freitag soll allein als Anreisetag dienen.«
Bornier starrte ihn nur aus seinen kleinen, tief in den Höhlen liegenden Augen an.
Einen Moment lang schien es Bottlinger, als würde sich der Maler in einer anderen Welt befinden, einer Dimension, die er sich selbst in seinem Kopf geschaffen hatte. Einer Welt, in der Grauen und Wahnsinn herrschten, der sich im Blick der trüben Augen spiegelte.
Dann schob sich ein Lächeln auf die eingefallenen, grauen Züge des Malers. Es wirkte falsch und eher kalt als freundlich. »Wunderbar, Bottlinger, das ist wunderbar!« Die Stimme klang rau wie ein Reibeisen, als seien es die ersten Worte, die nach Tagen aus einer völlig ausgedörrten Kehle drangen. Der Maler gab das wuchtige Eingangsportal frei und schlurfte in den anschließenden breiten Flur.
Bottlinger folgte ihm und musterte ihn einigermaßen verwundert. Der Maler ließ die Schultern hängen, machte einen Buckel, als könne er kaum noch aufrecht gehen. So hatte der Journalist ihn nie zuvor gesehen.
Seltsam … wie passte das zusammen? Zum einen entwickelte Bornier einen geradezu erstaunlichen Tatendrang, gab den Auftrag, zum ersten Mal seit Jahren gezielt eine Gruppe Menschen in sein Schloss einzuladen – zum anderen wirkte er hinfälliger als je zuvor.
Da schien etwas nicht zu stimmen.
Bottlinger öffnete schon den Mund, um eine entsprechende Frage zu stellen, doch er überlegte es sich anders. Es war, als sei da eine Stimme in seinem Kopf, die ihm gebot, still zu sein … Warum sollte er sich auch darum kümmern? Es ging ihn schließlich nichts an. Das spielte doch keine Rolle, war die Privatsache des Malers.
Bornier drehte sich um. »Sie haben sehr gute Arbeit geleistet. Wir werden den fünf Teilnehmern einen interessanten Empfang bereiten …«
Bottlinger
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