Macabros Neu 01 - Der Leichenorden von Itaron
Sinn, den sie in diesem Augenblick noch nicht zu erfassen vermochte. Das hatten auch die wenigen Worte deutlich gemacht, die der Knochenmann an das Monstrum namens Flakasir gerichtet hatte. Wirell durfte nicht vorzeitig sterben. Auch ihr, Annas, Tod war für einen späteren Zeitpunkt vorgesehen.
Warum? Welche Bedeutung hatte es, ob man sie jetzt oder später tötete?
Und war da nicht noch etwas gewesen, das sie irritiert hatte? Anna strengte ihr fieberndes Gehirn an … Das war es! Der Knochenmann hatte von einem Leichenorden gesprochen, der auf Wirell und auch auf sie wartete.
Schon das Wort jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Es klang schrecklich. Sie musste mit aller Kraft versuchen, aus dieser entsetzlichen Gegend zu entkommen, dorthin zu gelangen, wo andere Menschen lebten. Aber wo sollte das sein? Sie hatte die Idee, dass es sie auf einen anderen Kontinent verschlagen hatte, längst verworfen. Diese Gegend war so furchtbar, so menschenfeindlich, dass sie sich unmöglich auf der Erde befinden konnte …
Wieder dachte sie an jenen Science-Fiction-Film. Hatte man sie auf einen anderen Stern gebracht? War das vielleicht die Erklärung für die seltsamen Erlebnisse im Schloss des Malers Alexander Bornier? War Bornier kein Mensch, sondern ein – Außerirdischer?
Tief in Gedanken versunken, bemerkte sie nicht, dass sie sich einem der düsteren Bäume näherte.
Anna Huber war bis zu diesem Augenblick davon überzeugt gewesen, dass der Schrecken, dem sie bis jetzt ausgesetzt gewesen war, keine Steigerung mehr erfahren konnte. Jetzt wurde sie eines Besseren belehrt. Aus dem Stamm des Baumes ragte, knapp oberhalb eines halb freigelegten Brustkorbs, eine knöcherne Klaue, deren Finger sich langsam öffneten.
Anna bemerkte die Bewegung im Augenwinkel zu spät.
Da war sie dem Baum bereits so nahe, dass die Klaue nur noch zupacken musste. Sie verfing sich in Annas Haaren.
Anna schrie. Sie versuchte sich dem Griff zu entwinden, doch es gelang ihr nicht.
Die Klaue zerrte sie näher an den Baum heran, eine zweite Knochenhand reckte sich ihr samt einem Skelettarm entgegen. Anna fühlte einen kalten Druck um den Hals, dann um den Brustkorb. Sie stemmte sich dagegen – vergeblich! Bald fühlte sie die borstige Rinde im Rücken, warf den Kopf entsetzt hin und her. Die Klaue zerrte sie immer weiter auf den Baum und den knöchernen Brustkorb, der aus dem Stamm ragte, zu. Es knirschte, als sich die Rippenknochen auseinanderbogen wie das Maul eines Walfischs. Die Klaue zog Anna direkt auf die plötzlich entstandene Öffnung zu!
Es war noch schneller gegangen, als der Journalist Andreas Bottlinger gehofft hatte. Eine Stunde Nachforschungen in seinem Privatarchiv mit den Briefen, die er auf seine Bornier-Reportagen hin erhalten hatte und danach einige Anrufe … Mehr war nicht nötig gewesen.
Es hatten sich innerhalb kürzester Zeit mehr als eine Handvoll kunstbegeisterter Interessenten gefunden, die bereit waren, große Summen für ein Wochenende auf dem Schloss des skurrilen Malers zu zahlen.
Bornier wünschte die erste Besuchstour gleich am nächsten Wochenende. Das war bereits morgen! Der Maler hatte sich auf fünf Teilnehmer festgelegt, da er sich jedem von ihnen »mit besonderer Aufmerksamkeit widmen« wollte, wie er Bottlinger versichert hatte.
Bottlinger hatte aufgrund des kurzfristigen Termins mit Schwierigkeiten gerechnet. Das Gegenteil war der Fall. Offenbar übte Borniers Œuvre inzwischen auf so viele Menschen eine starke Anziehungskraft aus, dass Bottlinger sich vor Anfragen kaum retten konnte. Er hatte fünf Leute ausgesucht und die restlichen Interessenten auf eine Warteliste gesetzt. Nun wollte er diesen fünf Teilnehmern telefonisch die Bestätigung erteilen.
Gerade hob er den Hörer vom Telefon, als es klingelte.
»Bottlinger«, sagte er genervt. Wahrscheinlich war es ein weiterer Interessent, der ihn mit einer Geldsumme zu bestechen versuchte, um doch noch in den erlesenen Kreis der fünf Teilnehmer aufgenommen zu werden. Solche Anfragen hatte Bottlinger an diesem Tag bereits mehrfach abgewiesen. Dabei hätte er gegen eine zusätzliche Finanzspritze eigentlich gar nichts einzuwenden gehabt. Bornier hätte nie davon erfahren. Außerdem war dem Maler sein Honorar ja sowieso egal.
Aber irgendetwas in Bottlinger sträubte sich dagegen, die Geldgeschenke anzunehmen. Aus einem Grund, den er nicht verstand, war er davon überzeugt, dass es genau die fünf von ihm ausgesuchten Teilnehmer waren, die
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